Schortens: Das DP-Camp für Holocaust-Überlebende auf dem Flugplatz Upjever beendete 1950/51 Bergen-Belsen

Weiterführende Informationen:

 

Eingang zum Resettlement Transit Camp Jever ca. 1950 (Gedenkstätte Bergen-Belsen)
Eingang zum Resettlement Transit Camp Jever ca. 1950 (Gedenkstätte Bergen-Belsen)

Bei Bergen-Belsen denkt man in der Regel an das am 15. April 1945 von britischen Truppen befreite Konzentrationslager und die dort von den entsetzten Soldaten vorgefundenen Berge von Leichen der hier umgekommenen Opfer. Selten denkt man an das in den benachbarten ehemaligen Wehrmacht-Kasernen in Bergen-Hohne eingerichtete größte Camp Nachkriegsdeutschlands für jüdische „Displaced Persons“ (DP), in dem außer den Befreiten der vielen anderen Lager auch die Überlebenden aus Bergen-Belsen Unterkunft fanden. Fast unbekannt aber ist, dass die Geschichte des Lagers „Bergen Belsen D.P. Hohne Camp“ in den Jahren 1950/51 in den Bauten des ehemaligen NS-Flugplatzes Upjever – zwischen Jever und Schortens auf Schortenser Gebiet – zu Ende ging. Das „Resettlement Transit Camp Jever“ (Auswanderungsdurchgangslager Jever) gehört zu den wichtigen Erinnerungsorten nicht nur im Landkreis Friesland, sondern weit darüber hinaus, denn hier wurde das Kapitel der Geschichte der Holocaust-Überlebenden in der britisch besetzten Zone Deutschlands und auch ihrer Selbstverwaltung abgeschlossen.

Briefkopf „Zentralkomitee der befreiten Juden in der britisch besetzten Zone in Jever“ von 1950 (Gedenkstätte Bergen-Belsen)
Briefkopf „Zentralkomitee der befreiten Juden in der britisch besetzten Zone in Jever“ von 1950 (Gedenkstätte Bergen-Belsen)

Die britische Besatzungsmacht plante, Bergen-Hohne wieder für militärische Zwecke zu nutzen. Ein Ausweichquartier wurde gesucht, die Wahl fiel schließlich 1950 kurzfristig auf Upjever. Mitte Juli 1950 bezogen anfänglich etwa 1.000 jüdische „Displaced Persons“ (DP) die leer stehenden Gebäude auf dem Flugplatzgelände von Upjever, das fortan bis Mitte August 1951 unter der offiziellen Bezeichnung „Resettlement Transit Camp Jever“ („Auswanderungsdurchgangslager Jever“) genutzt wurde.

Die Bewohner im Camp in Upjever, meist Juden polnischer oder ungarischer Herkunft, warteten dort nun weiter auf die Möglichkeit einer Auswanderung nach Israel, in die USA oder andere Länder. Das Camp wurde unter der Oberhoheit der britischen Besatzungsmacht von der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) der Vereinten Nationen verwaltet. International tätige jüdische Hilfsorganisationen, vor allem der „Joint“ aus den USA, unterstützten die Bewohner. Mit dem „Komitee der befreiten Juden in der Bitischen Besatzungszone“ unter Leitung von Josef Rosensaft, das 1950/51 ebenfalls von Bergen-Hohne nach Upjever seinen Sitz verlegte, besaßen die Bewohner eine eigene Interessenvertretung und Lagerselbstverwaltung. Das Camp verfügte über ein eigenes Hospital, in dem auch nichtjüdische deutsche Ärzte und Schwestern beschäftigt waren. Kontakte zur einheimischen Bevölkerung rund um den Militärflugplatz gab es für die Camp-Bewohner nur beschränkt, in erster Linie durch den sich aufbauenden Tauschhandel. Deutsche Behörden und Polizei hatten auf dem Gelände und auf die Bewohner keine Zugriffsrechte, da diesen traumatisierten Überlebenden des Holocaust ein solcher Kontakt mit Amtspersonen aus dem Land der Täter erspart bleiben sollte. Im August 1951, kurz vor der Schließung des Camps, protestierten seine Bewohner beim Lichtspielhaus am Alten Markt in Jever gegen die dortige Aufführung eines neuen Films von Veit Harlan, dem Regisseur des in der Nazizeit produzierten antisemitischen Hetzfilms „Jud Süß.“

Eine wissenschaftliche Dokumentation zum Camp und seinen Bewohnern ist nun als Buch erhältlich (Rezension von Hans Begerow, NWZ Nr. 151):

Holger Frerichs: „…ein bemerkenswertes Kapitel des jüdischen Überlebens…“. Das Lager für Displaced Persons in Upjever (Friesland) 1950/51.

Erschienen 2019 im Isensee-Verlag in Oldenburg, Haarenstraße 20, 26122 Oldenburg, Tel.: 0441 361424-0 Fax: 0441 17872 verlag@isensee.de

Format 30 x 22 cm, 146 Seiten, 90 Abbildungen. ISBN 978-3-7308-1522-9.

Erhältlich zum Preis von 25 Euro beim Verlag, im Buchhandel, im Shop des Schlossmuseums Jever oder im Gröschlerhaus Jever.

Inhaltsverzeichnis:

Vorwort von Dr. Thomas Rahe, Leitung Forschung und Dokumentation und stv. Leitung der Gedenkstätte Bergen-Belsen
Kapitel 1: Geschichte des Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers und des jüdischen DP-Camps Bergen-Belsen 1940-1950
1.1. Geschichte von Bergen-Belsen bis 1945
1.2. Das jüdische DP-Camp Bergen-Belsen 1945 bis 1950
Kapitel 2: Räumung des DP-Camps Bergen-Belsen und seine Verlegung zum Fliegerhorst Upjever
2.1. Konflikte zwischen britischer Besatzungsmacht und den jüdischem Bewohnern
2.2. Pläne in der friesländischen Kommunalpolitik zur Nutzung des Fliegerhorstes Upjever
2.3. „Möbelwagen rollen nach dem Fliegerhorst“: Ankunft in Upjever (Juli 1950)
Kapitel 3: Beschreibung des jüdischen DP-Lagers in Upjever
3.1. Bezeichnung und Verwaltung des Camps
3.2. Lage und Funktion der verschiedenen Gebäude auf dem Fliegerhorst
Kapitel 4: Das DP-Hospital in Upjever
4.1. Zur Vorgeschichte: Das Glyn-Hughes-Hospital in Bergen-Belsen
4.2. Der Umzug des Hospitals von Bergen-Belsen nach Upjever
4.3. Räumliche und medizinische Ausstattung des Hospitals
4.4. Chefärzte und Verwaltungsleitung
4.5. Belegung des Hospitals
4.6. Das DP-Hospital im Spiegel der AJDC-Berichte
4.7. Die Schließung des Hospitals
Kapitel 5: Bewohnerzahl und Geburten-Heiraten-Sterbefälle
5.1. Bewohnerzahl
5.2. Geburten – Eheschließungen – Sterbefälle
Kapitel 6: Jüdische Selbstverwaltung im DP-Camp Upjever
6.1. Das „Zentralkomitee der befreiten Juden in der Britischen Zone“
6.2. Vorsitzender Josef Rosensaft
6.3. Das jüdische Zentralkomitee im Spiegel der AJDC-Berichte
Kapitel 7: Beziehungen zum deutschen Umfeld und die Proteste gegen den „Jud Süß“-Regisseur Harlan
7.1. „Wartesaal“ im „Land der Täter“
7.2. Kontakte zu nichtjüdischem deutschen Personal im Hospital und Camp
7.3. „Tauschhandel“ und „Schwarzer Markt“ – Einbrüche und Diebstähle aus dem deutschen Umfeld
7.4. „DP-Omnibus“ nach Jever und die „Lager-Lichtspiele“ (Kino) im DP-Camp
7.5. Protest gegen die Aufführung eines Filmes des „Jud Süss“ – Regisseurs Veit Harlan
Kapitel 8: Emigration
8.1. Der schwierige Weg in eine neue Heimat
8.2. Die Auswanderung nach Israel im Spiegel der AJDC-Berichte
8.3. Die Auswanderung in die USA im Spiegel der AJDC-Berichte
Kapitel 9: Auseinandersetzung um die Haftentschädigung
9.1. Gesetzliche Regelungen zur „Wiedergutmachung“ in Niedersachsen
9.2. Diskussionen und Konflikte um die Entschädigungszahlungen
9.3. Die Auszahlung der Haftentschädigungen in Jever Ende Juli 1951
Kapitel 10: Auflösung des DP-Camps in Upjever
10.1. Berichte zur Auflösung des DP-Camps
10.2. Die weitere Nutzung des Geländes in Upjever ab 1951
Kapitel 11: Biografien von Bewohnern des DP-Camps Upjever
11.1. Ehepaar Josef Brust und Martha Klüger (Ungarn / Rumänien)
11.2. Ibolya Grünfeld (Ungarn)
11.3. Sara Wajchendler und Familie (Polen)
11.4. Judith Austern und Familie
11.5. Siegfried Gutermann und Familie
Zeitzeugenbericht Günter Buchold
Archive, Literatur, Abkürzungen

Geplant ist für 2020 vom Schlossmuseum bzw. GröschlerHaus in Jever eine Ausstellung zum DP-Camp.

Holger Frerichs (Schlossmuseum Jever) /Hartmut Peters