von Holger Frerichs (Schlossmuseum Jever)
Zum Zeitpunkt der Synagogenbrandstiftung und Pogromnacht im November 1938 hielten sich in Varel noch 20 jüdische Bürger auf, die in der nationalsozialistischen Terminologie als “Volljuden” galten und damit ungeschützt allen Verfolgungsmaßnahmen der Nazis ausgesetzt waren. Es handelte sich um fünf Ehepaare, eine Tochter sowie neun weitere ledige bzw. verwitwete Einzelpersonen:
- die Geschwister Ernst und Jette Weinberg in der Schüttingstraße 13, die dort seit 1937 ein Jüdisches Altenheim betrieben, sowie die sechs Altenheim-Bewohner Reline Bermann (Foto links), Lewin Brilling, Mathilde Eichhold, Bertha Gröschler (Foto Mitte), Lina Hiffelsheimer (Foto rechts) und Friedrica Vyth (Fotos: Sammlung Peters, Sammlung Frerichs).
- das Ehepaar Kaufmann Lesser (Leo) und Rosi Neumann, kinderlos, im Wohn- und Geschäftshaus in der Drostenstraße 2 (Foto vor 1920, Sammlung Frerichs).
- die Witwe Rosa Bernheim, kinderlos, in der Lehrerwohnung der Synagoge, Osterstraße 10
- das Ehepaar Kaufmann Eduard und Käthe Visser – ihre beiden Kinder Ruth und Ingeborg hielten sich seinerzeit in Frankfurt am Main auf – im Wohnhaus in der Oldenburger Straße 39 (Foto entstand Ende der 1930er Jahre im Garten des Wohnhauses Oldenburger Straße 39. Von links: Tochter Ruth, Eduard Visser, Tochter Ingeborg, Käthe Visser. Sammlung Frerichs)
- das Ehepaar Kaufmann Sally und Frieda Rose, kinderlos, im Wohnhaus in der Elisabethstraße 3 (Fotos entstanden nach 1945 in Südafrika, Sammlung Frerichs).
- das Ehepaar Kaufmann Ludwig und Emilie Frank – ihr Sohn Hans-Jacob war bereits 1930 aus Varel verzogen – im Wohn- und Geschäftshaus in der Hansastraße 4 (Fotos: Yad Vashem und Sammlung Frerichs).
- das Ehepaar Viehhändler Willi und Rosalie Wolff – von deren zwei Töchtern lebte noch die Tochter Rosi bei den Eltern – im Wohn- und Geschäftshaus am Moorhausener Weg 2
Die Schwäger Eduard Visser und Sally Rose betrieben gemeinsam einen Textilgroßhandel in der Neumühlenstraße 12.
Neben den Genannten lebten in Varel im Herbst 1938 vereinzelt noch weitere Personen jüdischer Religionszugehörigkeit in Varel, die aber in einer damals so genannten “Mischehe” mit einem nichtjüdischen Partner lebten und daher von den Verfolgungsmaßnahmen in der Pogromnacht weithin verschont blieben.
Angehörige der Vareler SA, die zur SA-Gruppe Nordsee bzw. SA-Standarte 19 gehörte, hatten – begleitend zur Synagogenbrandstiftung, die bereits in einem gesonderten Beitrag beschrieben ist – den Auftrag erhalten, die jüdischen Einwohner zu verhaften, jüdisches Eigentum zu konfiszieren und zu demolieren. Zu diesem Zwecke wurden sogenannte „Aufholtrupps“ in Stärke von 3 bis 5 Mann gebildet, welche die angeordneten Aktionen durchführten.
Alle genannten männlichen und weiblichen jüdischen Bürger – mit Ausnahme von Rosalie und Rosi Wolff – wurden im Verlauf des 10. November 1938 gewaltsam zwischen 3 und 5 Uhr morgens (in einem Fall noch um kurz vor 10 Uhr) von diesen „Aufholtrupps“ der Vareler SA ihrer Freiheit beraubt und in das damalige Polizeigefängnis Varel (neben dem Amtsgericht am Schloßplatz/Schulstr.) eingeliefert.
Zu dieser Zahl von 18 aus Varel selbst ins örtliche Gefängnis gebrachten Personen kam noch aus dem Ort Neuenburg (Friesische Wehde) der jüdische Bürger Hugo Frank, Techniker. Alle Verhaftungen sind im Einlieferungsregister des Polizeigefängnisses überliefert. Bei der Durchführung der Verhaftungen wurden viele der jüdischen Bürger beschimpft und misshandelt, ebenso kam es im Gefängnis zu gewaltsamen Übergriffen. Ferner wurden bei den Verhaftungen am 10. November den Opfern Geld und Wertsachen abgenommen. Das geschah noch im Gefängnis. Einrichtungsgegenstände in den Privatwohnungen der jüdischen Bürger fielen dem SA-Vandalismus zum Opfer, Schaufensterscheiben der wenigen jüdischen Geschäfte wurden zertrümmert und im Laufe des Tages kam es zu weiteren Plünderungen, z. B. des Schuhgeschäfts von Neumann, an denen auch andere Vareler Bürger teilnehmen.
1. Freiheitsberaubung, Misshandlungen, Plünderungen und Vandalismus:
„Tatorte“ und Opfer in Varel
Jüdisches Altenheims, Schüttingstraße 13 (Geschwister Weinberg und sechs Bewohner)
Beim Novemberpogrom 1938 schreckten die Nationalsozialisten in Varel auch nicht davor zurück, die teils sehr gebrechlichen Bewohner des jüdischen Altenheimes in der Schüttingstraße 13 zu terrorisieren:
Die Betreiber des Altenheims, Ernst und Jette Weinberg, sowie alle sechs damaligen Bewohner des Heimes – Reline Bermann, Lewin Brilling, Mathilde Eichhold, Bertha Gröschler, Lina Hiffelsheimer, Friedrica Vyth – wurden am 10. November gegen 5 Uhr morgens durch die SA-Greiftrupps „festgenommen“. Zum „Aufholtrupp“ der Nazis in der Schüttingstraße 13 gehörten drei Männer, darunter der Baumeister Hermann Friedrich Karl Marschall aus der Schüttingstraße 7, geboren 17.10.1907. Die Geschwister Weinberg und die Insassen des Altersheims wurden zunächst in ein Zimmer eingesperrt. Sodann wurde die Wohnung durchsucht, Fensterscheiben wurden zerstört, Polstermöbel zerschnitten und kleinere Wertgegenstände entwendet. Auch wurde das gesamte Geld weggenommen. Ein Bild, das die Mutter der Geschwister Weinberg darstellte, wurde zerstört, in dem man die Augen ausstach. Nach Beendigung dieser „Durchsuchung“ wurden die jüdischen Bürger zum Gefängnis gebracht. Eine Beteiligung an der Verhaftung der Geschwister Weinberg und der Bewohner des Altersheims bestritt der Angeklagte Marschall im späteren Prozess. Er wäre angeblich zu einer solchen Tat nicht bereit gewesen, da es sich um seine Nachbarn gehandelt und er für sie früher auch gearbeitet habe. Seine Frau hätte ihm jedoch mitgeteilt, dass „die Juden bei Weinbergs ziemlich laut geschrien hätten“.
Das jüdische Altenheim in der Schüttingstraße lag nur wenige Meter entfernt vom damaligen Polizeigefängnis, das sich auf dem Gelände hinter dem Amtsgericht befand. Im Polizeigefängnis vernahm der Auktionator und SA-Aktivist Johannes Büppelmann, geboren 18.11.1897, u.a. Ernst Weinberg. Büppelmann hatte erfahren, dass dieser einige Zeit vorher sein zweites Haus in der Schüttingstraße 15, direkt neben dem Altenheim, für 2000 Reichsmark verkauft hatte. Er vermutete, der Kaufpreis befände sich noch versteckt in der Wohnung. Zusammen mit dem SA-Angehörigen Gastwirt Érnst Martins, geboren 17.02.1891 – Besitzer des „Hotel zum Schütting“ – versuchte er, Weinberg zur Herausgabe des Geldes zu bewegen. Als sie hiermit keinen Erfolg hatten, führten sie Weinberg gemeinsam mit zwei weiteren SA-Männern in seine Wohnung und setzten dort ihre Versuche fort, das Geld zu erlangen, aber auch hier wieder ohne Erfolg. Sie brachten Weinberg darauf in das Gefängnis zurück.
Was es für die meist hilflosen Bewohner des Altersheimes bedeutete, in jener Brand- und Gewaltnacht von brutal in Uniform bzw. in “Räuberzivil” auftretenden SA-Leuten aus ihren Betten geholt zu werden und knapp neun Stunden in den Zellen des Polizeigefängnisses zu verbringen, mag sich jeder Leser selbst vorstellen.
Da die Schüttingstraße 13 bis zur Rückkehr der Verhafteten einige Zeit leer und unverschlossen blieb, folgten offenbar weitere Zerstörungen und Plünderungen von Wertgegenständen aller Art. Möglichweise nutzten nun weitere Personen aus Varel, die unbekannt blieben, die „Gunst der Stunde“.
In den Wiedergutmachungsakten der Nachkriegszeit ist schließlich das ganze Ausmaß der Plünderungen und des Vandalismus in der Schüttingstraße 13 dokumentiert und vermitteln einen Eindruck, mit welcher Gewalt vorgegangen wurde und wie sich Täter am Hab und Gut der jüdischen Opfer bereicherten:
Im und am Haus entstanden verschiedene Holz- und Glasschäden, sanitäre Einrichtungen wurden zerschlagen, geraubt wurden eine Zinngeschirrsammlung sowie je eine Münz- und Briefmarkensammlung. Weiterhin wurden z. B. 12 Ölbilder und Aquarelle zerstört: „Die 12 Scheiben der Fenster (…) sowie alle Dachfenster, die Scheiben an der Vordertür, über der Vordertür und über der Hintertür, sowie alle Scheiben im Hause und im Keller sind ausnahmslos zerschlagen worden. (…). Weitere Glasschäden entstanden im Hause dadurch, dass an einer Vitrine 4 geschliffene Kristallglasscheiben (…) zerschlagen wurden. Auch die Kristallglasscheiben am dazu gehörigen Büffet wurden zertrümmert. Ein ovaler Spiegel (…) und ein rechteckiger Spiegel (…), beide in Schränke eingebaut, wurden zerschlagen. Desgleichen 2 weitere Spiegel mit Rahmen (…) und ein dreiteiliger Spiegel (…) wurden zerstört. (…).“
Wohn- und Geschäftshaus Schuhhändler Lesser (Leo) Neumann, Drostenstraße 2
Besonders im Mittelpunkt des Vandalismus der Vareler Täter stand am Morgen des 10. November 1938 das Wohn- und Geschäftshaus des Schuhhändlers Neumann in der Drostenstraße 2. Hier lebte der Kaufmann Lesser (Leo) Neumann (geb. 1882) mit seiner Ehefrau Rosi (geb. 1884). Ihre Ehe war kinderlos geblieben.
Als Tatbeteiligte an der noch in den frühen Morgenstunden des 10. November durchgeführten „Verhaftung“ des Ehepaars Neumann wurden später ermittelt das SA-Mitglied Georg Lübben, geboren 10.9.1898, zur Tatzeit Betreiber eines Getränkehandels in Varel, und der Kassenverwalter der SA-Standarte 19, Behrens. Beide fuhren mit dem Lieferwagen von Lübben etwa gegen 2.30 Uhr vom „Schütting“, der logistischen Zentrale der Vareler SA für ihre nächtlichen Aktionen, zur Wohnung der Neumanns in der Drostenstraße. Während Lübben vor dem Haus wartete, begab sich Behrens in die Wohnung, aus der er nach etwa 15 Minuten mit den Eheleuten Neumann zurückkehrte. Das Ehepaar musste – spärlich bekleidet, wie Zeitzeugen berichteten – den Lieferwagen besteigen und wurden zum nahe gelegenen Polizeigefängnis gebracht. Sie wurden dort – so die Eintragung im Register des Gefängnisses – gegen 3 Uhr in „Schutzhaft“ genommen.
Über weitere Einzelheiten berichtete Pastor Brahms in seiner Arbeit über die Geschichte der Vareler Synagoge: „Wie gründlich Marodeure in Braunhemden jüdische Geschäfte verwüstet und geplündert hatten, zeigte sich am Morgen des 10. November in herausragender Weise in der Drostenstraße, wo das Ladenlokal des jüdischen Mitbürgers und Schuhhändlers Lesser Neumann Ziel des NS-Vandalismus geworden war. Bürgersteig und Fahrbahn waren mit den Scherben der mutwillig zerstörten Schaufenster übersät. Dazwischen lagen in Kartons verpackte Schuhe, doch auch durcheinander geworfene Einzelstücke. Während der Geschäftsinhaber und seine Frau unter ‚Schutzhaft’ gestellt und ins Polizeigefängnis eingeliefert worden waren, demolierten Angehörige eines ‚Kulturvolkes’ auf barbarische Weise die einst gepflegte, vom sogenannten ‚kleinen Mann’ gern aufgesuchte Schuheinkaufsstätte, das Lebenswerk eines stets kulanten, geachteten Geschäftsmannes, der seit 1914 in Varel ansässig war. Wenn auch Plünderung und Diebstahl jüdischen Eigentums verboten war, so war doch die Zahl derer erstaunlich groß, die einige Tage später dadurch im Straßenbild auffielen, dass sie neue Schuhe trugen. Unter ihnen waren auch Kinder stadtbekannter SA-Männer, deren Tragik es über Jahre gewesen war, stets die Kleidung und das Schuhwerk des größer gewordenen Bruders nachtragen zu müssen.“
Nach Angaben von Rosi Neumann im späteren „Wiedergutmachungsverfahren“ soll der Wert des beim Novemberpogrom 1938 allein in Varel geplünderten Warenlagers insgesamt etwa 28-30.000 Reichsmark betragen haben. Ein Teil der Ware, insbesondere Serien von Marschstiefeln, seien anschließend entschädigungslos an verschiedene SA-Verbände in Varel, ein größerer Posten Winterschuhe an die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV) gegangen. Den verbliebenen Rest der damals beschlagnahmten Ware habe ihr Mann zwar zurück erhalten, diesen aber schließlich unter Zwang für 16.000 Reichsmark an die Firma Georg Heckermann, Schuhgroßhandel in Bremen, Georgstraße, verkaufen müssen. Der weit unter dem eigentlichen Einkaufswert der Ware liegende Erlös musste von Neumann auf ein Sperrkonto überwiesen werden, das später vom deutschen Fiskus beschlagnahmt wurde.
Neben der Plünderung des Vareler Warenlagers wurden nach Angaben von Rosi Neumann beim Pogrom weiterhin entwendet: Regale, Tische, ein Vervielfältigungsapparat, Büromaterialien, ein Radiogerät, verschiedene Schmuckgegenstände, darunter ein Brillantring im Wert von 150 Reichsmark, der an den SA-Standartenführer Stümer ausgehändigt werden musste.
Wohnung Witwe Rosa Bernheim, Synagoge, Osterstraße 10
Die in der Lehrerwohnung der Synagoge lebende Witwe des – bereits 1934 verstorbenen – letzten jüdischen Lehrers in Varel – Rosa Bernheim geb. Katzenstein, geb. 1872 – verlor durch die kurz nach Mitternacht durchgeführte Brandstiftung der Synagoge ihre Wohnung. Sie flüchtete zunächst zu den katholischen Ordensschwestern des nahe gelegenen Krankenhauses in Varel, wurde aber dort bereits gegen 3 Uhr von SA-Männern abgeholt und ebenfalls in das Polizeigefängnis gebracht. Nach ihrer Entlassung kam sie erneut bei den Ordensschwestern unter.
Geschäftshaus Visser, Neumühlenstraße 12
Wenn im Ausmaß auch nicht so umfassend wie beim Schuhhändler Neumann, wurde gleichermaßen der gemeinsam betriebene Textilgroßhandel der Schwäger Sally Rose und Eduard Visser in der Neumühlenstraße 12 von SA-Leuten verwüstet und beraubt.
Wohnhaus der Familie Visser, Oldenburger Straße 39, und Wohnhaus des Ehepaares Rose, Elisabethstraße 3
Der Kaufmann Eduard Visser (geb. 1879) lebte im November 1938 gemeinsam mit seiner Ehefrau Käthe (geb. 1896) in der Oldenburger Straße 39. Die beiden Töchter Ingeborg (geb. 1923) und Ruth (geb. 1921) hielten sich in Frankfurt/Main auf. Auch hierher kamen die SA-Leute und brachten das Ehepaar ins Polizeigefängnis. Gleiches geschah im Wohnhaus seines Schwagers Sally Rose (geb. 1891) und dessen Ehefrau Frieda (geb. 1898) in der Elisabethstraße 3.
Wohn- und Geschäftshaus Familie Frank, Hansastraße 4
Auch beim Großhandelskaufmann Ludwig Frank (geb. 1885) in der Hansastraße 4 verschafften sich die Täter gewaltsam Zutritt und es kam zu Sachbeschädigungen. Ludwig Frank lebte dort alleine mit seiner Ehefrau Emilie (geb. 1888), der Sohn Hans-Jakob hatte bereits 1930 Varel verlassen. Die beiden Eheleute mussten den Gang ins Polizeigefängnis antreten.
Emilie Frank wurde aus dem Polizeigefängnis noch am gleichen Tag um 14 Uhr nach Hause entlassen, ihr Ehemann Ludwig drei Stunden später gegen 17 Uhr. Er wurde somit auch nicht – wie die anderen in dieser Nacht ins Polizeigefängnis gebrachten männlichen Juden aus Varel – am Vormittag des folgenden Tages von der Gestapo nach Oldenburg und dann weiter ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Als Grund für die Aufhebung der „Schutzhaft“ vermerkte das Insassenregister des Polizeigefängnis zutreffend: „Fr[ank] besitzt die holländische Staatsangehörigkeit“. Als Emilie Frank am Nachmittag des 10. November 1938 in die Wohnung zurückkehrte, musste sie erfahren, dass die SA-Männer ihre Wohnungseinrichtung zerstört, viel Inventar gestohlen und auch das Warenlager ihres Mannes nicht unbehelligt gelassen hatten. Zudem fanden sich dort später auch andere Vareler Bürger ein, um im derart gefledderten Lager „ihren persönlichen Bedarf auf diese ungewöhnliche Weise zu decken suchten“, wie Pastor Brahms berichtete.
Wohn- und Geschäftshaus Familie Wolff, Moorhausener Weg 2
Der Viehhändler Willi Wolff (geb. 1884) war für die „Aufholtrupps“ der Vareler SA zunächst nicht auffindbar und wurde erst später in seinem Wohn- und Geschäftshaus am Moorhausener Weg 2 angetroffen. Die Verhaftung erfolgte am 10.11.1938 gegen 9.30 Uhr, er war damit der letzte ins Polizeigefängnis eingelieferte jüdische Bürger. Seine Ehefrau Rosalie (geb. 1889) und die Tochter Rosi (geb. 1916) – eine der beiden Töchter des Ehepaars Wolff, das noch bei den Eltern lebte – blieben verschont.
2. „Schutzhaft“ im Polizeigefängnis Varel
Das Insassenregister des Polizeigefängnisses Varel (Staatsarchiv Oldenburg, Bestand 231-3, Nr. 224) weist für den 10. November 1938 die Aufnahme von insgesamt 19 jüdischen Bürgern aus (Registernummern 216 bis 234), Es handelte sich, wie bereits aufgezählt, um 18 Personen aus Varel und 1 Person (Hugo Frank) aus Neuenburg. Als „Einliefernder“ vermerkte der Protokollant des Polizeigefängnisses in allen Fällen die „NSDAP-Ortsgruppe Varel“, unter der Rubrik „Vergehen“ ist „Schutzhaft“ vermerkt, bei der Religion findet sich die Eintragung „jüdisch“.
Eintragungen im Register (Reg.) des Polizeigefängnis Varel, 10. November 1938:
Reg.Nr. | Eingeliefert wann | Name / Geboren | Familienstand/Kinder / Stand oder Gewerbe | Entlassen wann/wohin | ANMERKUNG H.F. |
216 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Rose, Sally, 9.9.1891 | Verheiratet, keine Kinder, Kaufmann | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | |
217 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Visser, Eduard, 15.1.1879 | Verheiratet, 2 Kinder, Kaufmann („seit 1.10.38 ohne Gewerbe“) | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | |
218 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Neumann, Lesser, 12.12.1882 | Verheiratet, keine Kinder, Kaufmann | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | |
219 | 10.11.1938 9.30 Uhr | Wolff, Willi, 5.12.1884 | Verheiratet,2 Kinder, Viehhändler | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | |
220 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Weinberg, Ernst, 29.1.1899 | Ledig, keine Kinder, „Inhaber eines Pensionats“ | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | |
221 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Frank, Hugo, 11.3.1883 | Verheiratet, 3 Kinder,Techniker | 11.11.1938, 9.45 Uhr,„nach Oldenburg überführt“ | Aus Neuenburg |
222 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Brilling, Lewin, „65 J. alt, Geburtstag nicht bekannt““ | Ledig, keine Kinder,Ohne | 10.11.1938, 14.00 Uhr,„Varel, Schüttingstr. bei Weinberg“ | Geb. 9.1.1873. Bewohner Jüdisches Altenheim. Entlassungsgrund: „Alters- und Geistesschwäche“ |
223 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Frank, Ludwig, 4.8.1885 | Verheiratet, 1 Kind,Kaufmann (Vertreter) | 10.11.1938, 17.00 Uhr,Varel, Hansastr. | Entlassungsgrund: „Frank besitzt die holländische Staatsangehörigkeit“. |
224 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Frank, Millie, geborene Heilbronn, 25.1.1888 | Verheiratet, 1 Kind,Ehefrau | 10.11.1938, 17.00 Uhr,Varel, Hansastr. | Vorname: Emilie. Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
225 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Visser, Käthe, geborene Rose, 23.12.1896 | Verheiratet, 2 Kinder,Ehefrau | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Oldenburger Str. | Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
226 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Neumann, Rosi, geborene Marx, 12.4.1884 | Verheiratet,Keine Kinder,Ehefrau | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Drostenstr. | Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
227 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Weinberg, Jette, 3.7.1896 | Ledig, keine Kinder,Ohne | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Schüttingstr. | Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
228 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Eichhold, Mathilde, 15.3.1884 | Ledig, keine Kinder,Ohne | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Schüttingstr. | Bewohnerin Jüdisches Altenheim. Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
229 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Gröschler,Bertha, 27.9.1890 | Ledig, keine Kinder,Ohne (Haustochter) | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Schüttingstr. | Bewohnerin Jüdisches Altenheim. Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
230 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Bermann, Relli, geborene Westphal, 31.12.1884 | Verheiratet, 2 Kinder,Ehefrau | 10.11.1938, 5.00 Uhr [!],Varel, Schüttingstr. | Entlassung 5.00 Uhr ist vermutl. Schreibfehler, wahrscheinlich 14.00 Uhr. Bewohnerin Jüdisches Altenheim. Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
231 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Hiffelsheimer, Lina, „75 Jahre alt, Geburtstag nicht bekannt“ | Ledig, keine Kinder,Ohne | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Schüttingstr. | Geb. 13.3.1863.Bewohnerin Jüdisches Altenheim.Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
232 | 10.11.1938 5.00 Uhr | Vyth, Rieka, „im März 74 Jahre alt geworden“ | Ledig, keine Kinder, Ohne | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Schüttingstr. | Geb. 13.3.1864. Bewohnerin Jüdisches Altenheim.Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
233 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Bernheim, Rosa, geborene Katzenstein, 15.7.1872 | Verwitwet,keine Kinder, Pensionsempfängerin | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel | Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
234 | 10.11.1938 3.00 Uhr | Rose, Frieda, geborene Karseboom, 12.10.1898 | Verheiratet, Keine Kinder, Ehefrau | 10.11.1938, 14.00 Uhr,Varel, Oldenburger Str. | Entlassungsgrund: „Schutzhaft aufgehoben“. |
Den körperlichen Misshandlungen der Opfer durch SA-Angehörige im Polizeigefängnis Varel, wie in einigen Fällen vorgekommen, wurde schließlich durch couragiertes Handeln des damaligen Gefängnisaufsehers in Varel, Justizbeamter Jelsche Hemken, und durch dessen Ehefrau Helene, ein Ende bereitet. Helene Hemken hatte von den Vareler SA-Leuten einen Gummiknüppel mit der „Anweisung“ ausgehändigt bekommen, hiermit möge ihr Mann „die Juden verdreschen“. Offenbar sollte im Polizeigefängnis auch nicht Halt gemacht werden vor den Bewohnern des Altenheimes. Beide Eheleute Hemken hatten sich jedoch, so die Feststellungen im späteren Prozess zur Pogromnacht, nicht nur einem solchen Ansinnen entschieden widersetzt, sondern waren auch weiteren Ausschreitungen von SA-Leuten gegen die Opfer entgegengetreten.
3. Von Varel über Oldenburg ins Konzentrationslager Sachsenhausen
Alle in der Pogromnacht inhaftierten weiblichen Personen, sowie als einziger Mann der Bewohner des Altenheims, Lewin Brilling (Entlassungsgrund: „Alters- und Geistesschwäche“), wurden noch am 10. November gegen 14.00 Uhr aus dem Polizeigefängnis Varel in ihre geplünderten und teils demolierten Wohnungen entlassen.
Für die verbliebenen sechs jüdischen Männer war die Verhaftung in Varel jedoch nur der Auftakt weiterer Schrecken: Vom Polizeigefängnis, in dem sie noch die Nacht vom 10./11. November verbringen mussten, brachte die Gestapo sie am 11. November 1938 gegen 10 Uhr mit einem Autobus nach Oldenburg, wo sie erneut von Beamten der Geheimen Staatspolizei übernommen wurden. Sie trafen dort auf die jüdischen Bürger, die aus der Stadt Oldenburg, aber auch aus dem gesamten Ostfriesland, aus Wilhelmshaven und dem übrigen Teilen des Landes Oldenburg kamen.
Bei den aus Varel nach Oldenburg „zugeführten“ Personen handelte es sich um:
- Techniker Hugo Frank, Neuenburg [1]
- Kaufmann Lesser Neumann, Varel, Drostenstraße 2
- Kaufmann Sally Rose, Varel, Elisabethstraße 3
- Kaufmann Eduard Visser, Varel, Oldenburger Straße 39
- Viehhändler Willy Wolff, Varel, Moorhauser Weg 2
- Altenheim-Betreiber Ernst Weinberg, Schüttingstr. 13
In Oldenburg mussten die Opfer zunächst stundenlang in der Kälte stehen, wurden dann wie Vieh bis zum Bahnhof getrieben und mit einem „Sonderzug“ der Deutschen Reichsbahn über Bremen ins Konzentrationslager Sachsenhausen in der Nähe von Berlin transportiert.
Was auf diese Männer und Frauen nach Ankunft des Zuges am 11. November 1938 gegen 19 Uhr abends an Misshandlungen und Demütigungen wartete, lässt sich aus Schilderungen von Überlebenden entnehmen. Der ehemalige Landesrabbiner in Oldenburg, Dr. Leo Trepp, berichtete u.a.:
„Am Abend kamen wir an, wurden vom Zug gestoßen und von den SS-Männern mit ihren Hunden über die Felder gehetzt. (…). Wir standen die Nacht hindurch im Freien. Ich sah, wie ein Mann mit einem schweren Herzinfarkt bei Bewusstsein zu Tode getreten wurde. Am Morgen mussten wir uns nackt zur ‘Untersuchung’ aufstellen. (…). Wir wurden in unsere dünne Sträflingskleidung eingekleidet und kamen in die lange vorbereiteten Baracken. Wir wurden geschoren. (…). Man hat heute viele Beschreibungen und Bildberichte über das Lager. Keine von ihnen, die ich je gesehen habe, übertreibt die Situation. Am frühen Morgen, als es noch dunkel war, und dann am Abend gab es stundenlangen Appell. (…). Wir wurden gezählt und gezählt. Oftmals wurden wir über den Lautsprecher mit Schimpfreden angebrüllt. Die Scheinwerfer warfen ihr Licht durch das Dunkel auf die schweigende Masse. In einer dieser Morgenstunden war ich sicher, dies ist das Vorspiel unseres Todes, (…).“
In Sachsenhausen trafen die aus Varel kommenden Opfer u.a. auch auf den bis Februar 1936 in der Hindenburgstraße 3 in Varel wohnhaft gewesenen jüdischen Kaufmann Ludwig Weiss (geboren 8. Februar 1881), der jedoch sein Textilgeschäft (Kaufhaus Weiss, heute Textil-Dieler) im Zuge der „Arisierung“ jüdischer Gewerbebetriebe an Erhard Hirsch abgeben hatte müssen. Ludwig Weiss war anschließend mit seiner Ehefrau Rosa Weiss, geborene Bornstein, aus Varel nach Bremen verzogen. Er wurde auf dem Fußmarsch ins KZ Sachsenhausen derart misshandelt, dass er im KZ am 14. November 1938 verstarb.
Entlassung der Vareler aus dem KZ Sachsenhausen
Die Freilassung der Verhafteten geschah in mehreren Wellen:
Zunächst wurden Ende November 1938 alle ehemaligen jüdischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges entlassen. Dann folgten zum 12. Dezember alle über 50 Jahre alten jüdischen Schutzhäftlinge. Bevorzugt wurden jene jüdischen Bürger aus der KZ-Haft entlassen, die konkrete Vorbereitungen für eine Ausreise nachweisen konnten; alle übrigen Häftlinge folgten schließlich bis Anfang 1939. Bei der Entlassung hatten die Häftlinge einen Revers zu unterschreiben, in dem sie sich unter Androhung von erneuter KZ-Haft verpflichteten, über alles im Lager Erlebte Stillschweigen zu bewahren. Nach der Heimkehr in ihren Wohnort unterlagen sie der staatspolizeilichen Meldepflicht.
Beispiel Ernst Weinberg: Er bekam die Häftlingsnummer 10167 und wurde in den Häftlingsblock 42 eingewiesen. Am 9. Januar 1939 ordnete die „Politische Abteilung“ des KZ Sachsenhausen, d. h. die in der Verwaltung des Konzentrationslagers tätige Gestapo-Dienststelle, die Entlassung von Weinberg an. Die Überführung sollte zunächst nach Wilhelmshaven erfolgen. Der genaue Tag seiner Heimkehr in die Schüttingstraße 13 ist nicht überliefert. Im Entschädigungsverfahren nach dem Kriege gab seine Erbin, die Schwester Johanne Titz, geborene Weinberg, den März 1939 als Ende der Haftzeit ihres Bruders an. Ob sich Frau Titz in ihrer Erinnerung irrte, oder ob Ernst Weinberg nach seiner Überstellung aus Sachsenhausen nach Wilhelmshaven im Gestapo-Gefängnis weiter festgehalten wurde, bleibt ungeklärt.
Auskunft der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (22.4.2015) zu den Haftzeiten der Vareler Juden:
NAME – EINLIEFERUNG – HÄFTLINGS-NR. – HÄFTLINGSBLOCK – ENTLASSEN
Hugo Frank – 11.11.1938 – 10149 – 42 – 15.12.1938
Lesser (Leo) Neumann – 11.11.1938 – 10173 – 42 – 15.12.1938
Sally Rose – 11.11.1938 – 10163 – 42 – 23.11.1938
Eduard Visser – 11.11.1938 – 10162 – 42 – 29.11.1938
Ernst Sally Weinberg – 11.11.1938 – 10167 – 42 – 9.1.1939
Willi Wolff – 11.11.1938 – 10166 – 42 – 14.11.1938
4. Das weitere Schicksal der 1938 in Varel lebenden Juden
Abschließend soll im Überblick noch über das weitere Schicksal der zum Zeitpunkt der Pogromnacht im November 1938 in Varel lebenden jüdischen Bürger berichtet werden:
Ernst und Jette Weinberg wurden gemeinsam mit Bertha Gröschler und Mathilde Eichhold im Oktober 1941 von Varel über Emden und Berlin in das Ghetto Lodz (Litzmannstadt) deportiert. Die beiden Weinberg-Geschwister und Frau Gröschler starben dort am 17.11.1941 (Jette Weinberg), 27.3.1942 (Ernst Weinberg) und 29.3.1942 (Frau Gröschler) unter den entsetzlichen Lebensbedingungen, Frau Eichhold wurde am 4. Mai 1942 weiter ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) transportiert und dort im Gaswagen ermordet.
Lewin Brilling wurde am 14.11.1941 vom Altenheim in Varel in die „Heil- und Pflegeanstalt Sayn-Bendorf“ verlegt und von dort am 14.6.1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.
Friedrica Vyth verließ im Mai 1939 das Altenheim und gelangte über Bottrop und drei „Heilanstalten“ in Münster, Lippstadt-Eickelborn und Gießen im Rahmen der „Euthansie-Aktion T 4“ in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel; wo sie am 1.10.1940 vergast wurde.
Lina Hiffelsheimer wurde Mitte Juli 1940 aus Varel in das Philipps-Hospital nach Goddelau (Hessen) gebracht, wo sie kurze Zeit später, am 4.8.1940 verstarb.
Reline Bermann verließ im Februar 1939 Varel und gelangte zunächst nach Hamburg, von wo aus ihr am 26.5.1939 die Auswanderung nach Brasilien glückte.
Das Ehepaar Lesser und Rosi Neumann überlebte den Holocaust: Sie verließen Varel im Oktober 1939 und konnten schließlich im August 1941 von Berlin über Spanien/Portugal/Kuba mit dem Flüchtlingsschiff “Navemar” in die USA emigrieren. Geschwächt von einer schweren Krankheit und nicht zuletzt von der strapaziösen Überfahrt mit der „Navemar“ verstarb Lesser Neumann in den USA am 19. April 1942 im Alter von 59 Jahren. Rosi (Rosy) Neumann starb am 21. Mai 1963 im Alter von 79 Jahren in Jersey City (New York). Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof West Arlington in New Jersey bestattet.
Auch das Ehepaar Willy und Rosalie Wolff und ihre Tochter Rosi – wie auch Tochter Marga – überlebten durch rechtzeitige Emigration in die USA. Die Eheleute und ihre Tochter hatten Varel bereits eine Woche nach dem November-Pogrom verlassen. Die Töchter hießen später nach ihrer Heirat Oster bzw. Salus, die Nachkommen leben heute noch in den USA.
Rosa Bernheim verzog Ende April 1939 nach Berlin und wurde von dort am 14. September 1942 zunächst in das Ghetto Theresienstadt und am 29. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.
Die Eheleute Ludwig und Emilie Frank verließen Varel im Dezember 1938 und flüchteten zu ihrem Sohn nach Groningen in Holland. Nach der deutschen Besetzung Hollands gerieten sie erneut in die Fänge der NS-Schergen. Über das Durchgangslager Westerbork wurden die beiden Eheleute und ihr Sohn im Oktober 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.
Sally und Frieda Rose verließen im Dezember 1938 ihre Heimatstadt Varel und konnten nach Swaziland, später weiter nach Südafrika flüchten. Sally Rose verstarb am 2. März 1968 im Alter von 76 Jahren in Johannesburg / Südafrika, er liegt auf dem Friedhof Chevra Kadisha in Johannesburg begraben. Frieda Rose wurde 98 Jahre alt und starb am 10. September 1997, ebenfalls in Johannesburg.
Die Eheleute Eduard und Käthe Visser und ihre Tochter Ingeborg wurden im Zusammenhang mit einer „regionalen Entjudungsaktion“ der Staatspolizeistelle Wilhelmshaven im März 1940 zum Umzug nach Berlin gezwungen. Eduard Visser starb dort am 1.1.1941 und ist auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben. Ehefrau Käthe wurde am 12. Januar 1943 mit dem „26. Osttransport“ aus Berlin nach Auschwitz deportiert und unmittelbar nach Ankunft ermordet.
Tochter Ingeborg heiratete am 4. Oktober 1941 in Berlin-Charlottenburg David Friedmann (geboren 6. Mai 1921 in Berlin). Das Paar wohnte zuletzt in der Wilmersdorferstraße 32 in Berlin-Charlottenburg. Am 9. September 1942 wurde dort der Sohn Denny geboren. Die ganze Familie Friedmann gehörte am 3. Februar 1943 zu den mit dem „28. Osttransport“ aus Berlin nach Auschwitz Deportierten und dort ebenfalls sofort Ermordeten. Die Tochter Ruth überlebte, sie hatte bereits im Juli 1939 Varel verlassen und flüchtete zunächst nach Dänemark und 1943 weiter nach Schweden. Sie trug nach einer Heirat den Namen Ruth Wächter und lebt heute noch in einem Altersheim in Stockholm.
Auf Einzelnachweise im Text wurde verzichtet.
Literatur und Quellen:
- Rudolf Brahms: Die Synagoge in Varel. – In: Enno Meyer: Die Synagogen des Oldenburger Landes. – Oldenburg 1988, S. 161-195
- Rudolf Brahms: Geschichte einer ungeliebten Minderheit: Die Entwicklung einer jüdischen Gemeinde in Varel von ihren Anfängen im 17. Jahrhundert bis zu ihrem Untergang in nationalsozialistischer Zeit. – Oldenburg 2006
- Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Bd. 2. – Göttingen 2005 (zu Varel Beitrag von Werner Vahlenkamp, S. 1493-1502)
- Holger Frerichs: Varel unter dem Hakenkreuz: Texte und Dokumente zur Geschichte Varels 1933 bis 1945.- Jever: Verlag H. Lüers, 2007
- Holger Frerichs: Spurensuche: Das jüdische Altenheim in Varel 1937-1942.- Jever: Verlag H. Lüers, 2012
- Archiv Heimatverein Varel, Stadtarchiv Varel, Beiträge von Hans Begerow in der „Nordwest-Zeitung – Der Gemeinnützige“, Sammlung Holger Frerichs.
Autor und Copyright: Holger Frerichs, Hoher Weg 1, 26316 Varel; Forschungsstand: 13.5.2016
[1] Hinweis: In früheren Darstellungen wird gelegentlich irrtümlicherweise bei den aus Varel nach Oldenburg und weiter nach Sachsenhausen verschleppten jüdischen Männern an der Stelle von Hugo Frank (Neuenburg) der Vareler Kaufmann Ludwig Frank, Hansastraße 4, aufgeführt.
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