Wangerland: „Auf der Flucht erschossen“ – der Apotheker Ulrich Mamlok und die Sonnen-Apotheke in Hohenkirchen

Hinweis: Die Situation von in sog. „Mischehen“ lebenden Ehepartnern wird außerdem in folgenden Artikeln dagestellt:

Einleitung

Ulrich Mamlok wurde am 14. Mai 1900 in Königsberg (Ostpreußen) als Sohn des Apothekers Dr. Paul Mamlok und seiner Frau Meta, geb. Schottländer, geboren. Nach dem Studium der Pharmazie in Breslau erhielt er 1926 seine Approbation als Apotheker und arbeitete anschließend an verschiedenen Apotheken Deutschlands.

1930 heiratete er in Bochum die Apothekerin Meta Brakenbusch (1899 Bochum – 1964 Schortens). Im Februar 1933 erwarb das Ehepaar zu gleichen Teilen die Hohenkirchener „Sonnen-Apotheke“.

Für die 1933 an die Macht gekommenen, rassistischen Nationalsozialisten galt der Christ Ulrich Mamlok wegen der Abstammung seiner Vorfahren als Jude. Die Jahre ab 1933 waren durch den zunehmenden Druck des NS-Regimes gekennzeichnet, ihm die Apotheke zu entziehen und diese zu „arisieren“. Zum 1. April 1937 wurde das Ehepaar gezwungen, seinen Betrieb an einen NS-Aktivisten zu verpachten. Es zog von Hohenkirchen nach Jever.

Am 3. Mai 1938 verhaftete die Geheime Staatspolizei  Wilhelmshaven Ulrich Mamlok. Nach dem sog. „Heimtückegesetz“ von 1934, das die Verbreitung „unwahrer Behauptungen“ verfolgte, wurde er zu zwölf Monaten Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald verurteilt. Er galt hier als „politischer jüdischer Schutzhäftling“. Vermutlich um wenigstens das Eigentum an der Apotheke nicht zu verlieren, ließen sich die Mamloks im April 1939 scheiden. Damit verlor Ulrich Mamlok den kleinen Schutz, den ihm die Ehe mit einer „arischen“ Frau bisher noch gegeben hatte.

Angesichts der Situation im antisemitischen Jever suchte Mamlok Zuflucht in der Großstadt Berlin. Hier wurde er am 18. Juli 1939 erneut von der Gestapo verhaftet und wiederum nach Dachau und Buchenwald verschleppt, wo er Zwangsarbeit im „Baukommando“ zu leisten hatte. Eine interne Notiz der Wachtmannschaft dokumentiert seinen Tod am 5. August 1942: „Der polit.[ische] Jude Ulrich Mamlok, […], wurde heute um 14.55 auf der Flucht erschossen.“ Die Sterbeurkunde  des Standesamts Weimar nennt – von der SS so vorgegeben – „plötzlichen Herztod“ als Todesursache.

(von Hartmut Peters)

Inhaltsverzeichnis

  1. Familiärer Hintergrund und Berufsausbildung
  2. Kauf der Sonnen-Apotheke in Hohenkirchen und Kampf um die Apotheke
  3. Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, Scheidung 1939
  4. Die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald; Tod in Buchenwald 1942
  5. Endnoten

 

1: Familiärer Hintergrund und Berufsausbildung

Meta Mamlok in einem Foto von 1963. Foto: H. Schinke
Meta Mamlok in einem Foto von 1963. Foto: H. Schinke

Erst vor wenigen Jahren wurde der Lebensweg von Ulrich Mamlok, der von 1933 bis 1939 in Hohenkirchen und Jever lebte, den das NS-Terrorregime wegen seiner jüdischen Abstammung und seiner politischen Auffassungen massiv verfolgte und der 1942 im KZ Buchenwald „auf der Flucht“ erschossen wurde, näher bekannt. Der Name des Apothekers der heute noch bestehenden Sonnen-Apotheke in Hohenkirchen befindet sich nicht auf dem Mahnmal für die Ermordeten Juden Jevers, das 1996 errichtet wurde. Für ihn und andere damals unbekannte Opfer liegt symbolisch ein Buch ohne Titel auf dem dritten Stapel des Mahnmals.

Ulrich Konrad Mamlok wurde am 14. Mai 1900 als ältester Sohn des Apothekers Dr. Paul Mamlok und seiner Frau Meta, geb. Schottländer, in Königsberg geboren, „preußischer Staatsangehörigkeit und evangelischer Religion.“ (1) Sein Vater war seit 1898 (2) Besitzer einer Mineralwasserfabrik an unterschiedlichen Adressen in Königsberg, zuletzt am Viehmarkt 22 in Königsberg-Rosenau. (3) Der Familienname wird gelegentlich auch „Mamlock“ geschrieben.

Nach dem frühen Tod des Vaters 1904 zog die Mutter mit den inzwischen drei Kindern Ulrich, Günter und Erwin wieder zu ihren Eltern in das Haus des Sanitätsrats Dr. Ferdinand Schottländer in Königshütte, Oberschlesien, zurück. Ulrich Mamlok besuchte das Gymnasium und verließ es Ostern 1918 mit dem kriegsbedingten Notreifezeugnis. Seinen weiteren Lebensweg beschrieb er in einem handschriftlichen Lebenslauf wie folgt:

Zum gleichen Zeitpunkt trat ich in die Adler-Apotheke zu Hindenburg-Biskupitz, Oberschlesien, ein und bestand, nachdem mir ein halbes Jahr meiner Lehrzeit durch ministerielle Verfügung erlassen worden war, am 20. September 1920 zu Oppeln die Vorprüfung. Vom 1. Oktober 1920 bis zum 1. November 1922 war ich als vorgeprüfter Assistent in der Germania-Apotheke in Oppeln und der Wilhelmsburger Apotheke in Harburg-Wilhelmsburg tätig. Im unmittelbaren Anschluss daran studierte ich zu Breslau und bestand hier am 20. Oktober 1924 mein Staatsexamen mit „Gut“. Meine Kandidatenzeit absolvierte ich vom 1. November 1924 bis zum 1. April 1925 in der Apotheke zu Heiligenbeil (Ostpr.), vom 15. April bis zum 1. Oktober 1925 in der Bad-Apotheke zu Bad Alt-Heide (Schlesien), vom 1. Oktober 1925 bis zum 1. April 1926 in der Apotheke zu Zellin, […] Oberschlesien, und ab 1. Juni in der Nonnendamm-Apotheke in Berlin-Siemensstadt, wo ich im Juli 1926 meine Approbation erhielt und anschließend bis zum 1. November 1926 tätig blieb.“ (1) Es folgten weitere Beschäftigungen in der Park-Apotheke in Beuthen, Oberschlesien und in der Hirsch-Apotheke in Penzig, Oberlausitz. Ulrich Mamlok verwaltete danach die Mehrpohlsche Apotheke in Buer bei Osnabrück und vom 1. Februar 1930 bis 1. Januar 1933 die Hirsch-Apotheke in Dülmen/Westfalen.

Handschriftlicher Lebenslauf von Ulrich Mamlok, ca. 1933. Nds. Landesarchiv Oldenburg
Handschriftlicher Lebenslauf von Ulrich Mamlok, ca. 1933. Nds. Landesarchiv Oldenburg

In diese Dülmener Zeit fällt auch seine Heirat mit der Apothekerin Meta Brakenbusch, geb. am 2. Mai 1899 in Langendreer, die er am 10. Oktober 1930 an ihrem Wohnort Bochum-Werne heiratete. (4) Das frisch verheiratete Ehepaar wohnte dann zunächst in Dülmen in der Münsterstrasse 71 und seit Februar/März 1933 in Hohenkirchen bei Jever (5)

zurück zum Inhaltsverzeichnis

2: Kauf der Sonnen-Apotheke in Hohenkirchen und Kampf um die Apotheke

Die Sonnen-Apotheke auf einer Postkarte von 1931. Archiv H. Peters
Die Sonnen-Apotheke auf einer Postkarte von 1931. Archiv H. Peters

In Hohenkirchen, einem Flecken von ca. 1.300 Einwohnern und Mittelpunkt des ländlichen Wangerlands, hatte das Ehepaar am 28. Februar 1933 zu gleichen Teilen die Sonnen-Apotheke, Jeversche Straße 23, von der Witwe des Apothekers Ernst Winkelmann erworben, die Konzession lief jedoch auf Ulrich Mamloks Namen. (6) Bereits nach einem halben Jahr, im Oktober 1933, stellte Mamlok ein ungewöhnliches Gesuch an die Regierung in Oldenburg, die Konzession auf seine Ehefrau zu übertragen, um dann auf die eigene Konzession zu verzichten. Es war die Zeit der sog. Gleichschaltung nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der ersten antisemitischen Maßnahmen. Der Antrag – indes mit dem Wunsch begründet, sich mehr außerhalb der Apotheke zu betätigen – kann unter dem Eindruck der beruflichen Einschränkungen z.B. für jüdische Ärzte und in Voraussicht dessen, was noch alles auf ihn als getauften Juden zukommen könnte, entstanden sein. Der Antrag wurde von der Regierung in Oldenburg abgelehnt, da „keine Veranlassung“ (7) bestände, die Übertragung vorzunehmen. Daraufhin zog Ulrich Mamlok das Gesuch zurück.

Ab 1936 ging der Kampf um die Apotheke in eine neue Phase. Von staatlicher Seite wurde der Druck auf die Eheleute Mamlok erhöht, die Apotheke zu verkaufen. Ulrich Mamlok erklärte daraufhin vor dem Amtshauptmann (Landrat) in Jever mit Protokoll vom 9. Juni 1936, dass aufgrund der schlechten Wirtschaftslage eine Verpachtung unmöglich sei und er sich nicht zu einem Verkauf entschließen könne. Der Verkaufspreis wäre so gering, dass er nach Begleichung aller Schulden nur noch 3.000 RM übrig hätte. Er bat deshalb um die Genehmigung, die Apotheke zwei Jahre lang durch seine Frau zu verwalten: „Wenn die Verwaltung der Apotheke durch meine Frau auf 2 Jahre genehmigt wird, werden wir voraussichtlich in der Lage sein, in demselben Umfange wie bisher weiter unsere Schuld abzutragen und dadurch unser angelegtes Kapital herauszuwirtschaften. Wenn dagegen die Verwaltung durch meine Frau nicht genehmigt werden sollte, bitte ich zu genehmigen, dass die Verwaltung durch einen Dritten geführt wird. Dieser würde von mir ein monatliches Gehalt von schätzungsweise 250 RM erhalten, sodass für mich und meine Frau ein monatlicher Reingewinn von etwa 150 RM übrig bleiben würde. Ich würde hierdurch die augenblickliche schlechte Konjunktur für den Verkauf von Apotheken überbrücken, da anzunehmen ist, dass in etwa 2 Jahren das Angebot an verkäuflichen Apotheken abgenommen haben wird und der Kaufpreis von Apotheken gestiegen sein wird.“ (7)

Briefkopf der Sonnen-Apotheke (Auschnitt) um 1936. Archiv H. Peters
Briefkopf der Sonnen-Apotheke (Auschnitt) um 1936. Archiv H. Peters

Mamloks Anliegen wurde nicht entsprochen. Auch wenn der Bürgermeister, der Ortsgruppenleiter der NSDAP und der Kreisleiter sich zunächst positiv äußerten und die Mamloks als „sparsam und fleißig“ bezeichneten und als Bürger, die in der Bevölkerung einen „guten Ruf“ genossen, und deshalb der Verwaltung der Apotheke durch Meta Mamlok nichts entgegenstünde, zumal Mamlok nur zu einem Viertel Jude sei (7), so kam die Ablehnung durch den Amtshauptmann selbst nur wenige Wochen später, basierend auf einer genaueren Überprüfung der Herkunft von Ulrich Mamlok. Der Amtshauptmann schrieb am 18. Juli 1938 an das Ministerium des Innern in Oldenburg: „Sowohl die Großeltern als die Eltern des Mamlok sind ihrer Abstammung nach Juden. Mamlok ist somit Volljude. Aus diesem Grunde haben der Kreisleiter sowohl wie [sic] der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter ihre frühere Stellungnahme nicht aufrecht erhalten und sich gegen die Erteilung der beantragten Genehmigung ausgesprochen.“ (7) Mamloks Antrag sei damit abzulehnen.

Daraufhin versuchten die Mamloks, eine innereheliche Verpachtung an Meta Mamlok zu erreichen. Auch dies wurde vom Innenministerium abgelehnt. Es blieb ihnen damit nur die Verpachtung an einen Dritten, den „hinsichtlich der Person und der Sache stimmenden Apotheker Kneiding aus Fehmarn/Holstein“. (8)

Ein Versuch Meta Mamloks, ihrerseits alleine die Apotheke im benachbarten Carolinensiel zu pachten, war ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Seit Oktober 1936 verwaltete sie diese Apotheke und wollte sie zum 1. Januar 1937 übernehmen. Doch dazu kam es nicht. „Da sie […] mit einem „Nichtarier“ verheiratet war, und Art. 3 der 1. Verordnung zum Apothekenpachtgesetz vom 26.03.1936 derartige Verträge nicht erlaubte, nutzte ihr auch die in kurzer Zeit bei der einheimischen Bevölkerung gewonnene Beliebtheit und erfolgreiche Führung des Betriebes nicht.“ (9)

Es gibt Grund zur Bewunderung, dass Ulrich Mamlok in dieser schwierigen Zeit noch die Kraft aufbrachte, einen Apotheken-Ratgeber zu verfassen. „Die Deutsche Apothekerschaft“ veröffentlichte ihn 1936 in der Reihe „Ratgeber für Kranke und Gesunde“ unter dem Titel „Deutsche Heilkräuter – wie der Apotheker sie sieht“ in Oberhausen. In dieser schön aufgemachten Broschüre werden „49 heimische Pflanzen erzählend vorgestellt, die arzneilich genutzt werden, deren Vorkommen, volksmedizinisch bewährte Anwendungsgebiete sowie teilweise die zu benutzende Dosierung. Ein am Ende der Broschüre befindliches Register stellt den Seitenverweis für Anwendungsgebiete von Appetitlosigkeit bis Zuckerkrankheit dar.“ (10) Großen Wert legt Ulrich Mamlok auf die Vermittlung der Bedeutung von Herkunft und Güte der Heilpflanzen beim Verbraucher. Im Vorwort heißt es, auf Qualitätsunterschiede bezogen: „[…] die eigene Urteilskraft, einmal geweckt, [ist] ein strengerer Richter als alles andere.“ Es ist sicherlich spekulativ, dahinter auch eine dem Nationalsozialimus konträre Grundauffassung zu vermuten.

Umschlagstitel der Schrift „Deutsche Heilkräuter“ von 1936, als deren Autor die Deutsche Nationalbibliothek Ulrich Mamlok ansetzt. Archiv Gröschlerhaus
Umschlagstitel der Schrift „Deutsche Heilkräuter“ von 1936, als deren Autor die Deutsche Nationalbibliothek Ulrich Mamlok ansetzt. Archiv Gröschlerhaus

Zu diesen Jahren schrieb Meta Mamlok nach dem Krieg im Rückblick: „Im Jahre 1937 wurde mein Mann aus rassischen Gründen von der Nazi-Regierung gezwungen, die Apotheke zu verpachten. Seine inständige Bitte, mir als seiner Frau, die ich doch auch approbierte Apothekerin und rein arisch war, die Leitung des Geschäfts zu übertragen, und sich ganz von der Apotheke zurückzuziehen, wurde von der Naziregierung glatt abgelehnt. Der damalige Reichsapothekerführer Schmierer schrieb mir damals aus Berlin, es bestände dann doch noch immer die Gefahr des „jüdischen Einflusses“. So wurden wir aus unserem Eigentum herausgeworfen, und die Apotheke an einen Fremden verpachtet. Pächter wurde der Parteigenosse und NSFK-Mann Kneiding aus Fehmarn in Holstein, der die Apotheke pachtete, ohne sie gesehen zu haben, um uns nachher untragbare Reparaturen aufzubürden, denn es galt ja, die Situation tüchtig auszunutzen und einen Nichtarier zu Boden zu werfen. Unterstützt wurde er von dem damaligen Gruppenleiter der Apothekerschaft, Runge, Wilhelmshaven, der später seines Amtes als Gruppenleiter entsetzt wurde. Mein Mann durfte dann noch bis 1938 in anderen Apotheken vertreten.“ (11) Die Verpachtung erfolgte zum 1. April 1937, die Mamloks zogen nach Jever, was dem Jeverschen Wochenblatt am 3. April 1937 eine Meldung wert war.

zurück zum Inhaltsverzeichnis

3: Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, Scheidung 1939

Eine dramatische Wende nahm Ulrich Mamloks Leben schließlich im Jahr 1938. Er wurde am 3. Mai 1938 durch die Gestapo Wilhelmshaven verhaftet, die wegen „Vergehens gegen das Heimtückegesetz“ Schutzhaft für ihn anordnete. Nach diesem Gesetz von 1933/34 wurde die Verbreitung „unwahrer“ Behauptungen, die dem Reich angeblich schadeten, mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft, auch wenn sie z.T. nur nichtöffentlich geäußert wurden. (12) Es ist unbekannt, was ihm der NS-Terrorapparat konkret vorwarf. Zu dieser Zeit lebte er mit seiner Ehefrau Meta in der Anton-Günther-Str. 45 in Jever. (13) Auf dem Weg von Wilhelmshaven nach Dachau verbrachte Mamlok die Nacht vom 1. bis 2. Juni 1938 im Landgerichtsgefängnis Hof. (14) In Dachau wurde er am 4. Juni 1938 als Zugang registriert. Er hatte dort die Häftlingsnummer 15605, wurde als „Schutzhäftling Jude“ klassifiziert und mit einem doppelten Dreieck, einem roten Winkel auf einem gelben, gekennzeichnet. Gelb bedeutete in der KZ-Winkelemblematik jüdisch, Rot politisch. Ulrich Mamlok galt also als politischer jüdischer Häftling. (15) Am 22. September 1938 überstellte man ihn in das KZ Buchenwald, dort erhielt er die Häftlingsnummer 8531. Seine Entlassung erfolgte ein Jahr nach der Verhaftung, am 3. Mai 1939 um 14 Uhr. Er unterschrieb, dass er die Gegenstände, die er bei seiner Einlieferung abgeben musste, wieder zurückerhielt, nämlich 1 Hut, 1 Paar Schuhe, 2 Paar Strümpfe, 1 Mantel, 1 Rock, 1 Hose, 2 Hemden, 1 Unterhose, 1 Kragen, 1 Binder, 1 Buch, 1 Schlüssel, 1 Rasiermesser, 1 Nachtjacke. (16) Er kehrte zunächst zu Meta Mamlok, die zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr seine Ehefrau war, nach Jever zurück.

Vermutlich um die berufliche Existenz Apotheke zu retten, hatten sich die Mamloks, noch während Ulrich Mamlok im KZ saß, scheiden lassen. Die Scheidung erfolgte vor dem Landgericht Oldenburg und wurde am 25. April 1939 rechtskräftig. (17) Ulrich Mamlok hatte nach seiner Heimkehr im Mai keine Zeit, sich von den Strapazen der KZ-Haft zu erholen, denn der Kampf um die Apotheke ging sofort weiter.

Am 5. Juni 1939 schrieb das Landkreisamt in Jever einen Brief an den Bürgermeister der Gemeinde Wangerland in Hohenkirchen, betreffend die „Entjudung von Apothekenbetriebsrechten“. In dem Schreiben hieß es: „Der frühere Inhaber der dortigen Apotheke, der Apotheker Mamlok, hat gemäß Runderlass d. RMDI vom 20.5.1939 die noch in seinem Besitz befindlichen dinglichen Apothekenbetriebsrechte spätestens bis zum 30. Juni 1939 zu veräußern.“ (18)

Am 7. Juli 1939 informierte das Ministerium des Innern den Landrat des Landkreises Friesland in Jever: „Die Scheidung der Frau Mamlok ist bereits rechtskräftig geworden. Sie gilt nunmehr als deutschblütig. Der Ehemann hat ihr seinen Anteil an der Apotheke überschrieben. Z. Zt. unterliegt es einer Prüfung, ob Frau Mamlok konzessioniert werden kann. Ein politisches Führungszeugnis ist bereits beim Gau-Personal-Amt [Gau Weser-Ems] von mir beantragt worden. Falls dieses Zeugnis günstig für Frau Mamlok ausfallen sollte, muss ich vor Konzessionserteilung das Einverständnis der Apothekerkammer herbeiführen. Auch den Apotheker Kneiding [der die Apotheke nur gepachtet hatte] habe ich von der Sachlage unterrichtet.“ (18) Ulrich Mamlok hatte inzwischen seine Konzession dem Ministerium des Innern zurückgegeben. Die Neuerteilung der Konzession an Meta Mamlok zog sich hin, da sie „die für den Antrag auf Erteilung der Konzession notwendigen Abstammungspapiere noch nicht restlos vorgelegt [hatte].“ (19) Da ihre politische Zuverlässigkeit aber durch den Gauleiter des Gaues Weser-Ems bestätigt wurde, stand der Erteilung der Konzession nichts mehr im Wege. Die Klärung der Frage, ob Meta Mamlok die Apotheke weiterführen konnte, erfolgte am 17. Oktober 1939. Die Urkunde zum Halten der Apotheke wurde ihr dann am 10. April 1940 im Landkreisamt ausgehändigt. Hierbei war sie gezwungen, den Eid auf Adolf Hitler abzulegen. (19)

Wie Meta Mamlok nach dem Krieg berichtete, hatte Ulrich Mamlok vor, auszuwandern, die Schwierigkeiten, mit denen er sich konfrontiert sah, nahmen aber so stark zu, dass er das Vorhaben nicht umsetzen konnte. Es ist auch möglich, dass seine Frau sich nicht zur Auswanderung entschließen mochte. (20)

zurück zum Inhaltsverzeichnis

4: Die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald; Tod in Buchenwald 1942

Für Ulrich Mamlok hatte die Scheidung tödliche Konsequenzen, denn er verlor den Schutz, den ihm die Ehe mit einer „arischen“ Frau bisher geboten hatte. Er hatte seine Konzession verloren und durfte, obwohl er evangelisch getauft war, schon lange nicht mehr arbeiten. Ob er, gezeichnet von der KZ-Haft und den Kämpfen um die Apotheke, Jever dauerhaft oder nur temporär verlassen hat, lässt sich nicht mehr klären. Es steht aber fest, dass ihn die Gestapo bereits am 18. Juli 1939 erneut verhaftete, dieses Mal in Berlin. Seine Adresse ist in den Unterlagen mit Eisenzahnstr. 66, Berlin-Halensee, angegeben.

Dort lebte zu dieser Zeit sein jüngerer Bruder Günter mit Frau Ilse und den Kindern Peter und Evelyn. (21) Günter Mamlok, 1901 in Königsberg geboren, hatte mit seiner Mutter Meta und dem Bruder Erwin in Gleiwitz gelebt, er war von Beruf Elektriker, später Schichtmeister. 1930 heiratete er Ilse Lewin, geb. 1905 in Posen. Das Ehepaar siedelte nach Berlin über, wo Günter Mamlok 1935 eine Kohlengroßhandlung eröffnete. (22) Die Kinder Peter und Evelyn wurden 1935 und 1937 in Berlin geboren, Peter wurde im April 1941 eingeschult. (23)

Es ist zu vermuten, dass Ulrich Mamlok angesichts der für ihn unerträglichen Situation in Jever Zuflucht in der Großstadt Berlin und bei seinem Bruder gesucht hat. Die Zeit von seiner Verhaftung am 18. Juli bis zur Einweisung in das KZ Sachsenhausen mehr als acht Wochen später könnte er im Hausgefängnis der Berliner Gestapo oder im Polizeipräsidium am Alexanderplatz verbracht haben.

Am 23. September 1939 wurde Ulrich Mamlok dann im KZ Sachsenhausen als „Zugang“ mit der Häftlingsnummer 2492 registriert (24), nach bald einem Jahr, am 2./3. September 1940, in das KZ Dachau überstellt und von dort am 5. Juli 1941 ein zweites Mal in das KZ Buchenwald überführt. Am 4. Oktober 1941 schrieb sein Bruder Günter an den Lagerkommandanten von Buchenwald folgenden Brief: „Hierdurch würde ich höfl. um Mitteilung über den Zustand meines Bruders unter obiger Nummer [Häftlingsnummer 7059] bitten. Mein Bruder, der bisher alle 14 Tage geschrieben hatte, hat seit dem 11.8.41 nicht mehr geschrieben. Ich habe auch keine Mitteilung über eine Postsperre erhalten, so dass ich nicht weiß, ob ich an ihn schreiben darf. Vielleicht darf ich um die Freundlichkeit bitten, mir hierüber eine Auskunft zu erteilen?“ (25) Eine Antwort liegt nicht vor.

Zeitgenössische Übersicht über die Winkel, mit denen die SS die unterschiedlichen Häftlingsgruppen in den KZ kennzeichnete. Bundesarchiv
Zeitgenössische Übersicht über die Winkel, mit denen die SS die unterschiedlichen Häftlingsgruppen in den KZ kennzeichnete. Bundesarchiv

Es gibt Datumsstempel, die bezeugen, dass Ulrich Mamlok vom 22. August 1941 bis 23. Juli 1942 in Buchenwald in Arbeitskommandos Zwangsarbeit geleistet hat. Die Nummernbezeichnung der Zwangsarbeitskommandos, in denen Ulrich Mamlok eingesetzt war, variierte über die Jahre, es ist aber davon auszugehen, dass er als „Steineträger“ bzw. im „Baukommando“ und im „Steinbruch“ gearbeitet hat. (26) Das letzte Zeugnis betrifft seinen Tod am 5. August 1942. In einer Meldung des 1. Schutzhaftlagerführers an die Kommandantur des Konzentrationslagers heißt es lapidar: „Der polit. Jude Ulrich Mamlok, geb. am 14.5.1900 in Königsberg, wurde heute um 14.55 auf der Flucht erschossen.“ (27) Der Lagerarzt des Konzentrationslagers, der die Schussverletzungen untersuchte und beschrieb, fügte noch hinzu: „Eine andere als die oben geschilderte Gewalteinwirkung ist mit Sicherheit auszuschließen.“ (28) Seine amtliche Sterbeurkunde nennt aber „plötzlichen Herztod“ als Todesursache, sie wurde mit Sicherheit dem Standesbeamten durch die SS vorgegeben. (29) Ulrich Mamlok wurde 42 Jahre alt.

Nach Ulrich Mamloks Tod Tod wurden seine Habseligkeiten und sein Guthaben in Höhe von 110,33 RM an die Ortspolizeibehörde in Hindenburg, Oberschlesien, geschickt, um sie seiner Mutter Meta Mamlok, wohnhaft Bahnhofsplatz 5, zu übergeben. Die noch zu ihm vorhandenen Schriftstücke und Lichtbilder sandte das KZ Buchenwald an die Staatspolizei-Leitstelle Berlin zurück. (30)

Sein Bruder Günter in Berlin war ab 27. Mai 1940 zur Zwangsarbeit im Kabelwerk der Siemens-Schuckert-Werke verpflichtet. Seit August 1942 wohnte die ganze Familie in Berlin-Wilmersdorf in der Holsteinischen Straße 12. Am 12. Januar 1943 wurde sie aus der Holsteinischen Straße mit dem 26. Osttransport nach Auschwitz deportiert. (31) Dort bekam Günter Mamlok die Häftlingsnummer 86644 zugeteilt. Er wurde in das KZ Außenlager Goleszow (Golleschau) gebracht, in dem die meisten Häftlinge im Schichtbetrieb in Steinbrüchen arbeiten mussten. Am 30. Januar 1943 kam er in den Häftlingskrankenbau in Auschwitz; er starb dort am 1. Februar 1943. Zu seiner Frau und seinen Kindern gibt es keine weiteren Informationen, es ist davon auszugehen, dass sie unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. (32) Die Kinder wurden sieben und fünf Jahre alt.

Als einziger der drei Brüder überlebte Erwin Friedrich Mamlok die NS-Zeit. Seine Spuren finden sich noch 1938 in Hindenburg, Oberschlesien. Danach gelang ihm die Emigration nach England, wo er 1942 in Leeds, Yorkshire, Regina Birnbaum heiratete und als Elektroingenieur arbeitete. An den Internationalen Suchdienst stellte er am 14. Dezember 1945 aus London eine Anfrage zum Schicksal seiner Angehörigen. Er starb am 18. August 1972 in London, seine Frau 1993 in Middlesex. Sie hatten keine Kinder. (40) Damit gibt es in der ganzen Familie keinen Nachkommen mehr, der zu Ulrich Mamlok noch befragt werden könnte.

Die Apothekerin Meta Mamlok kehrte nach dem Krieg von Jever nach Hohenkirchen zurück und leitete die Sonnen-Apotheke noch 17 Jahre lang. 1963 wurde sie von Amts wegen geschlossen und schließlich an Hans Schinke verkauft. Meta Mamlok wohnte mit ihrer Schwester Eugenie noch ca. ein Jahr in dem Haus und zog dann in ihr neues Haus in Schortens, Kreuzweg 10. (41) Dort wurde sie am 6. Mai 1964 tot aufgefunden (42), ihre Schwester starb in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen ein halbes Jahr später.

zurück zum Inhaltsverzeichnis

5: Endnoten

  1. Nds. LAOL, Best. 136 Nr. 20603 Mamlok, handschr. Lebenslauf Ulrich Mamlok, o.D.
  2. vgl. Apotheker-Zeitung Nr. 41 (1898), S. 352
  3. Vgl. Adressbücher der Haupt- und Residenzstadt in Königsberg/Pr. und der Vororte, Königsberg 1899 und 1901, sowie Deutsches Reichs-Adressbuch für Industrie, Gewerbe und Handel.- Berlin 1902-1903, 1. Band, Eintrag „Königsberg“
  4. Stadtarchiv Bochum, StA Bochum-Werne, Heiratsurkunde 126/1930
  5. Stadtarchiv Dülmen, Bürgerrolle Stadt Dülmen, Melderegister 1933, Einträge zu Ulrich und Meta Mamlok
  6. vgl. Schinke, Hans: 150 Jahre Sonnen-Apotheke Hohenkirchen. – Hohenkirchen 1998, S. 24; und Deutsche Apotheker-Zeitung Nr. 52 (1935), S. 940
  7. Nds. LAOL, Best. 230-4 Nr. 66: Amtshauptmann Jever an Ulrich Mamlok, Hohenkirchen, 14.12.1933; Protokoll Erklärung Ulrich Mamlok vor Amtshauptmann Jever, 9.6.1936 ; Amtshauptmann Jever an Ministerium des Innern, Jever, 27.6.1936 ; Amtshauptmann Jever an Ministerium des Innern, Jever, 18.7.1936
  8. Schinke, S. 27
  9. Wohlgemuth, Bernd: Die Apotheke in Carolinensiel: Von den Anfängen 1803 bis zur Gegenwart.- Norderstedt 2012, S. 94
  10. E-Mail Bernd Wohlgemuth an G. Bergner, Carolinensiel, 10.3.2015
  11. Nds. LAOL, Best. 230-4 Nr. 66, Brief Meta Mamlok an Landrat Dr. Steinhoff, Hohenkirchen, 1.9.1945
  12. vgl. Eintrag „Heimtücke-Gesetz“, in: Benz, Wolfgang u.a. [Hrsg.]: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. – München 1998, S. 506
  13. Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559464
  14. Auszug aus einer Namensliste des Landgerichtsgefängnisses Hof, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 11740692 und 11740693
  15. Auszug aus dem Zugangsbuch des KZ Dachau, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 9892364
  16. Effektenkarte des KZ Buchenwald, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559465
  17. vgl. Stadtarchiv Bochum, StA Bochum-Werne, Heiratsurkunde 126/1930 (Randvermerk)
  18. Nds. LAOL, Best. 230-4 Nr. 66
  19. Nds. LAOL, Best.136 Nr. 20723; div. Schriftstücke
  20. vgl. Nds. LAOL, Best. 230-4 Nr. 66, Brief Meta Mamlok an Landrat Dr. Steinhoff, Hohenkirchen, 1.9.1945, und Privatarchiv Michael Mamlok, Brief Hans Schinke an Ruth Grügelsiepe (Sonnenapotheke Bochum-Werne), [Hohenkirchen], 5.8.1964. Hans Schinke schrieb, dass Meta Mamlok sich nicht zur Auswanderung entschließen mochte.
  21. BArch, R 1509
  22. Diese befand sich 1935 in Charlottenburg, Weimarer Str. 29; 1936-1938 in Schöneberg, Innsbrucker Str. 28; 1939 in Wilmersdorf, Eisenzahnstr. 66; ab 1940 ist kein Eintrag mehr zu Günter Mamlok vorhanden; vgl. Einträge in den Berliner Adressbüchern 1935-1940, http://www.zlb.de/besondere-angebote/berlineradressbuecher.html
  23. Karteikarte AJDC Peter Mamlok, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 11247024 und ebd., Karteikarte AJDC Evelyn Mamlok, Dok. Nr. 11247012
  24. Veränderungsmeldung KZ Sachsenhausen, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 4094454
  25. Brief Günter Mamlok an KZ Buchenwald, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559471
  26. vgl. E-Mail Stefanie Dellemann, KZ-Gedenkstätte Buchenwald, an G. Bergner, 24.3.2015.
  27. ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559470
  28. Todesmeldung des KZ Buchenwald, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559473
  29. vgl. E-Mail Stadtarchiv Weimar, 17.3.2015, an G. Bergner; Stadtarchiv Weimar, Bestand 27 2/4 Sterbezweitbuch StA Weimar II, 1526/1942
  30. Effektenkarte des KZ Buchenwald, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 6559466
  31. Transportliste des 26. OT, ITS Digitales Archiv, Dok. Nr. 11193100
  32. Alle Informationen zu Günter Mamlok und seiner Familie entstammen der Zentralen Namenskartei (ZNK) des ITS Arolsen.
  33. General Register Office England, Marriage certificate Erich Mamlok, 22.3.1942; und ebd., death certificate Erich Mamlok, 21.8.1972

 

Der Artikel wurde von der Historikerin Dr. Gabriele Bergner, Teltow, im Auftrag von Volker Landig, Jeverländischer Altertums- und Heimatverein e.V., recherchiert und verfasst und von Hartmut Peters an die Zwecke dieser Internetzeitschrift angepasst. Das Lektorat umfasst im Wesentlichen die zusätzliche Einleitung, kurze zusätzliche Hintergrunderklärungen, eine stärkere Akzentuierung von Ulrich Mamlok als politischem Häftling (zusätzliches Zitat aus der Einleitung der Heilkräuter-Broschüre), den Einbau von Anmerkungen in den Text und die Zusammenfassung einiger Endnoten. Die Abbildungen und ihre Legenden stammen von H. Peters. Der Arbeitskreis GröschlerHaus bedankt sich herzlich bei Frau Dr. Bergner für ihre Unterstützung.