Das Rüstungsministerium von Albert Speer und die deutsche Industrie hatten angesichts der angespannten Arbeitskräftesituation im Deutschen Reich ab 1942 verstärkt den Einsatz von KZ-Häftlingen als Zwangsarbeiter gefordert. Daraufhin entstanden in der Nähe von Produktionsstätten und Baustellen zahlreiche Außenlager der KZ, so auch des KZ Hamburg-Neuengamme, die meisten im letzten Kriegsjahr. Bis 1945 existierten allein in Norddeutschland über 85 Außenlager dieses KZ. Als im März 1945 im Hauptlager Neuengamme ca. 13.000 Männer inhaftiert waren, mussten gleichzeitig ca. 28.000 Männer und über 1.000 Frauen in den Außenlagern für Wirtschaft, Wehrmacht, Staat und SS arbeiten.
Am 17. September 1944 war auch in Wilhelmshaven am Alten Banter Weg ein Außenlager von Neuengamme errichtet worden. Einige Baracken eines zivilen Zwangsarbeiterlagers waren zuvor mit Stacheldraht umzäunt und mit Wachtürmen umgeben worden. Das Lagergelände befand sich zwischen dem Ems-Jade-Kanal und der Bahnstrecke Oldenburg-Wilhelmshaven.
Die anfänglich über 1.000 männlichen Häftlinge, die im Stammlager Neuengamme ausgewählt worden waren, mussten Schwerstarbeit für die Kriegsmarinewerft sowie Aufräumungsarbeiten verrichten. Ohne Ruhetag mussten sie zwölf Stunden täglich bei unzureichender Ernährung und ständigen Schlägen und Schikanen arbeiten. Die Todesrate stieg rasch an. Bereits wenige Wochen nach Ankunft der ersten Häftlinge wurde die Stadtverwaltung von der Kriegsmarine aufgefordert, auf dem städtischen Friedhof Aldenburg weitere Beerdigungsflächen zur Verfügung zu stellen. Die Bewachung wurde in den ersten zwei Monaten von französischen SS-Männern übernommen, die von etwa 200 Marineartilleristen abgelöst wurden. Erster Lagerführer war der vormalige Wehrmachtsoffizier Thümmel, es folgte für wenige Tage der SS-Unterscharführer Günther, der jedoch auf Wunsch der Marine abgelöst wurde, da diese auf einem ehemaligen Offizier als Lagerführer bestand. Über die letzten Lagerleiter, Büscher und Schwanke, ist wenig bekannt. In der kurzen Zeit des Bestehens des Außenkommandos – vom 17. September 1944 bis Anfang April 1945 – durchliefen insgesamt bis zu 2000 Personen, darunter viele Franzosen, Russen und ungarische Juden, das Lager. Im Totenbuch des KZ Neuengamme für das Außenlager Wilhelmshaven wurden 234 Tote registriert. Die tatsächliche Zahl der Toten ist wahrscheinlich aber größer gewesen.
3./5. April 1945: Räumung des Außenlagers Banter Weg
Kurz vor Ende des Krieges wurde das Lager Alter Banter Weg auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers geräumt und aufgelöst, da der entscheidende Vorstoß der alliierten Streitkräfte in Richtung Küste begonnen hatte. Anfang April 1945 war wohl die letzte Gelegenheit für den SS- und Polizeiapparat, die Häftlinge des Lagers Wilhelmshavens auf einen der berüchtigten Todesmärsche schicken zu können, bevor sich der Ring anrückender alliierter Verbände zu nahe um die Stadt legte. Beschönigend wird in diesem Zusammenhang oft von Evakuierung gesprochen; tatsächlich ging es darum, die Häftlinge möglichst lange als Faustpfand in der Hand zu behalten. Aber auch die Beseitigung von Spuren und von Zeugen furchtbarer Taten durch die Mörder bildete den Hintergrund. Auf vielen dieser Todesmärsche vollzog sich eine weitere Tragödie nicht mehr vorstellbaren Ausmaßes. Am 3. April 1945 wurden in Wilhelmshaven zunächst rund 400 kranke und nicht mehr marschfähige KZ-Häftlinge in Bahnwaggons verladen und abtransportiert. Der Zug erreichte am 7. April den Lüneburger Bahnhof, wo er bei einem Bombenangriff der Alliierten auf die Stadt mit getroffen und mindestens 256 Häftlinge getötet wurden. Die unverletzten Überlebenden wurden weiter ins völlig überfüllte KZ-Auffanglager Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide transportiert, wo viele von ihnen umkamen. Bis zu 80 verletzte Häftlinge blieben in Lüneburg, wo sie am 11. April 1945 von ihren Bewachern auf Befehl des dänischen Transportführers, SS-Mann Jepsen, erschossen wurden. Ihre Leichen wurden am nächsten Tag im Wald verscharrt. In Lüneburg erinnert heute ein Mahnmal an diese Gräueltat.
5. April 1945: Marsch durch Varel
Am Donnerstag, den 5. April 1945, verließen weitere rund 600 KZ-Häftlinge das Außenlager in Wilhelmshaven, teils zu Fuß, teils per Bahn. Ziel war diesmal das Auffanglager Sandbostel bei Bremervörde. Der Fußmarsch der KZ-Häftlinge berührte auch die Stadt Varel, etwa 30 Kilometer entfernt vom Ausgangsort Alter Banter Weg. In einer vom Vareler Stadtangestellten Schwenker geführten „Chronik“ – von der einige Teile 1950 in der „Nordwest-Zeitung“ veröffentlicht wurden, die heute aber als verschollen gilt – wurde der Marsch der KZ-Häftlinge durch Varel aus unbekannten Gründen falsch datiert. Es handelte sich nicht um den 28. April, wie in dieser Chronik vermerkt, sondern um Donnerstag, den 5. April 1945. Auch die von Schwenker damals nur geschätzte Zahl von 1000 Häftlingen war nach heutiger Kenntnis zu hoch angesetzt. Das von Schwenker erwähnte Marschziel war zudem nicht das Hauptlager Hamburg-Neuengamme, sondern das Auffanglager Sandbostel bei Bremervörde: „Gegen 10 Uhr vormittags bot sich den Varelern ein nie gesehener Anblick: 1000 Häftlinge des Konzentrationslagers Bant, in zerschlissener Sträflingskleidung, teilweise in den Uniformen aller europäischen Heere, bewegten sich apathisch durch die Stadt. Wenige, allerdings schwer bewaffnete SS-Leute begleiteten diesen Elendszug menschlicher Wracks. ‚Richtung Neuengamme‘, lautete die Marschroute. Im Rathaus führte der Transportleiter ein Ferngespräch. Mit dem Hinweis auf die ständige Bedrohung durch Tiefflieger erklärte er im Verlaufe des Gesprächs, daß es für ihn eine wesentliche Erleichterung sei, wenn seine Kolonne während des Übergangs über die Weser verloren gehen sollte.“
Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurden durch die Alliierten verschiedene Ermittlungen angestellt über die sogenannten „Todesmärsche“ bei der Räumung der Konzentrationslager und deren Außenkommandos. Sowohl die Stadt Varel wie auch die damals eigenständige Gemeinde Varel-Land erhielten Aufforderungen, vor Ort genaue Ermittlungen anzustellen. Die kurze Antwort der Stadtverwaltung Varel (Dokument undatiert, entstanden vermutlich Juni/Juli 1949) enthält ebenfalls eine falsche Datierung des Marsches durch Varel („Ende April 1945“), weitere Erkenntnisse ließen sich vier Jahre nach den Ereignissen angeblich nicht mmehr feststellen. Auch die Gemeinde Varel-Land konnte im Juni 1949 nur noch die Tatsache bestätigen, dass die Marschkolonne das Gemeindegebiet berührt hatte.
6. April 1945: KZ-Häftling Korzuleck beim Marsch durch Jaderberg ermordet
Nachdem die Kolonne Varel verlassen hatte, bewegte sie sich in Richtung Wesermarsch und berührte den Ort Jaderberg in der Gemeinde Jade. Von dort ging es weiter auf der Straße in Richtung der Ortschaft Jade. Auf diesem Weg wurde am 6. April 1945 ein Häftling durch die Wachmannschaften der SS erschossen. Bei dem noch in der Nähe von Jaderberg ermordeten KZ-Häftling handelte es sich um den am 3. März 1924 in Kiew (Ukraine) geborenen sowjetischen Staatsbürger Ivan Korzuleck. Er wurde nur 21 Jahre alt. Seine Leiche blieb zunächst am Straßenrand verscharrt, nach Kriegsende wurde sie auf den Friedhof in Jade umgebettet.
Erst 1950, fünf Jahre nach seinem gewaltsamen Tod, wurde vom Standesamt Jade eine entsprechende Sterbeurkunde ausgefertigt. Sowohl die Beurkundung des Standesamtes wie auch die amtliche Liste der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der Gemeinde Jade enthält als Todesursache die Bemerkung „erschossen“.
Der weitere Weg der KZ-Häftlinge bis zur Befreiung
Die KZ-Häftlinge, die am 5. April ihren Fußmarsch in Wilhelmshaven begonnen hatten, trafen am 18. April 1945 am Zielort, dem Auffanglager Sandbostel, ein. Im dortigen Kriegsgefangenen-Stammlager (Stalag X B) war ein gesonderter Bereich für die KZ-Häftlinge abgetrennt worden. Die erschöpften und ausgezehrten Häftlinge wurden in diesem geräumten und gesicherten Lagerteil weitgehend sich selbst überlassen. Nach einer Hungerrevolte im Lager wurde ein Teil der KZ-Häftlinge weiter getrieben und gelangte über Stade auf den auf der Elbe ankernden Kohlenfrachter „Olga Siemers“. Die „Olga Siemers“ brachte die sie durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel und von dort über die Ostsee bis nach Flensburg. Hier wurden sie an Bord des Schleppers „Rheinfels“ verbracht, wo die Überlebenden am 10. Mai 1945 von britischen Truppen befreit werden konnten.
Erinnerungsarbeit
Der historische Arbeitskreis des DGB Wilhelmshaven setzte sich Anfang der 1980er-Jahre für eine Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers ein. Sie wurde am 18. April 1995 vom Oberbürgermeister der Stadt eingeweiht. Neben freigelegten Grundmauern und Grundrissen befinden sich dort Schautafeln über das Außenlager und ein Gedenkstein. Der Arbeitskreis veröffentlichte auch eine Dokumentation zum KZ-Außenlager.
Auf dem Friedhof Aldenburg sind die Toten des Außenlagers Wilhelmshaven bestattet. 1947 wurde ein Mahnmal errichtet, das an die NS-Opfer erinnert. Große Grabplatten tragen die Namen von dort bestatteten KZ-Häftlingen. In einer Dauerausstellung des Küstenmuseums Wilhelmshaven wird auch die Geschichte des Außenlagers Banter Weg dokumentiert.
TEXT und COPYRIGHT:
Holger Frerichs (Schlossmuseum Jever), 3.6.2017.