Der Untergang des Panzerkreuzers ‚Yorck’ in der Jade 1914

von Werner Menke

 

Bild 1: Der 1905 in Dienst gestellte Panzerkreuzer ‚Yorck’ (Deutsches Marinemuseum, Wilhelmshaven)
Der 1905 in Dienst gestellte Panzerkreuzer ‚Yorck’ (Deutsches Marinemuseum, Wilhelmshaven)

Mit am Anfang der besonderen Vorkommnisse des Ersten Weltkriegs in der Region steht eine Schiffskatastrophe auf der Innenjade unweit von Horumersiel. Dort lief am Morgen des 4. November 1914 der Panzerkreuzer ‚Yorck’ auf zwei Minen einer von der deutschen Marine gelegten Sperre, welche einen befürchteten Angriff der englischen Kriegsflotte auf Wilhelmshaven verhindern sollte. Das Schiff sank schnell und riss einen großen Teil der Besatzung mit in die Tiefe. Die Zahl der Toten wird mit 336 beziffert, 381 Menschen wurden gerettet.

Illustration zu der in der Erzählung Bernstorffs  beschriebenen Ausfahrt aus dem Kieler Hafen auf „große Fahrt“ (nach einem Aquarell  von Willy Stöwer). Bernstorff und Stöwer sind effektive Multiplikatoren der Marine-Euphorie, die das illusionäre Flottenbauprogramm von Kaiser Wilhelm II. und Alfred von Tirpitz (1849 – 1930) in weiten Bevölkerungskreisen begleitete.
Illustration zu der in der Erzählung Bernstorffs beschriebenen Ausfahrt aus dem Kieler Hafen auf „große Fahrt“ (nach einem Aquarell von Willy Stöwer). Bernstorff und Stöwer sind effektive Multiplikatoren der Marine-Euphorie, die das illusionäre Flottenbauprogramm von Kaiser Wilhelm II. und Alfred von Tirpitz (1849 – 1930) in weiten Bevölkerungskreisen begleitete.

Die ‚Yorck’ war am 14. 5. 1904 bei der Werft Blohm & Voss in Hamburg vom Stapel gelaufen und wurde im November 1905 in Kiel in Dienst gestellt. Benannt wurde der 127,8 m lange und 20,2 m breite Große Kreuzer der Roon-Klasse nach Ludwig Yorck von Wartenburg (1759 – 1830 ), dem preußischen General aus der Zeit der napoleonischen Kriege, der ein Neutralitäts-Abkommen mit den Russen (die sog. „Konvention von Tauroggen“) geschlossen hatte, ohne dazu von seinem König Friedrich Wilhelm II. befugt worden zu sein.

Im Mai 1913 außer Dienst gestellt und der Reserve zugeordnet, wurde die ‚Yorck’ zu Beginn des Krieges reaktiviert und der III. Aufklärungsgruppe zugeteilt. Diese war an einem der wenigen Offensivunternehmen beteiligt, welche die Marine zu Kriegsbeginn von Wilhelmshaven aus startete, nämlich an der Beschießung der englischen Ostküste bei Yarmouth (Grafschaft Norfolk) am 3. November 1914 durch einen Verband von Großen (‚Seydlitz’, ‚Moltke’, ‚Von der Tann’, ‚Blücher’) und Kleinen Kreuzern (‚Straßburg’, ‚Kolberg’, ‚Graudenz’ und ‚Stralsund’), wobei letztere auch Minen legten. Blieb der Beschuss selbst weitgehend ohne Wirkung, so kam ein englisches U-Boot (D 5), das zur Verfolgung der deutschen Schiffe aufgebrochen war, in Berührung mit einer deutschen Mine und sank. Die ‚Yorck’ hatte nicht an dem Angriff teilgenommen, sondern mit den anderen Schiffen ihrer Einheit etwa auf halber Distanz die Sicherung des Rückweges übernommen.

Bei der Rückkehr in den Heimathafen gingen die Schiffe wegen starken Nebels in der Außenjade vor Anker. Obwohl sich der Lotse weigerte, die Verantwortung zu übernehmen, beschloss der Kapitän Waldemar Pieper trotz der eingeschränkten Sicht am frühen Morgen des 4. November nach Wilhelmshaven einzulaufen. Dabei geriet die ‚Yorck’ auf eine Mine und unmittelbar danach bei einem Wendemanöver auf eine zweite, kenterte und sank nach kurzer Zeit. Pieper wurde am 23. Dezember 1914 von einem Kriegsgericht in Wilhelmshaven wegen Missachten von Befehlen und fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.

Der Dichter Joachim Ringelnatz (1883 – 1934), der zu dieser Zeit als Bootsmaat auf dem von der Kriegsmarine übernommenen früheren Seeschlepper ‚Vulkan’ in Wilhelmshaven Dienst tat, berichtet über das Ereignis in seinen Erinnerungen:

Es hieß, „ein Torpedoboot sei bei Schillig auf unsere eigenen Minen gelaufen. Wir erhielten Befehl, sofort ein Sanitätsschiff durch die Sperre zu lotsen, konnten dann aber in dem dicken Nebel das Schiff nicht finden […]. Dann kam der Befehl, langsam nach Schillig zu dampfen und nach treibenden Minen zu suchen.[…] Wir spähten mit äußerst gespannten Augen in den Nebel […]Und nun sichteten wir viele schwimmende Korkwesten und Hängematten […] Und das Wasser war von nun an mit einer Ölschicht bedeckt. Wir suchten diese Gegend ab, holten eine Mütze heraus, die ich an mich nahm und die die Inschrift ‚S.M.S Yorck’ trug. […] ‚Yorck’ war ein großer Kreuzer […] Bald fischten wir weitere Mützen heraus, auf allen stand ‚Yorck’ […] Bald sahen wir das Wrack aus dem Nebel tauchen, ein gigantischer roter Walfischrücken […] Sämtliche herbeigeeilten Kriegsschiffe richteten ihre Scheinwerfer auf das Wrack, das sich in dieser Beleuchtung seltsam romantisch von der Dunkelheit abhob.“

Einbandbild der 1910 erschienenen Erzählung von Hans Nikolaus von Bernstorff  (nach einem Aquarell des Marinemalers Willy Stöwer)
Einbandbild der 1910 erschienenen Erzählung von Hans Nikolaus von Bernstorff (nach einem Aquarell des Marinemalers Willy Stöwer)

Als stolzes Schiff hatte wenige Jahre zuvor noch Willy Stöwer (1864 – 1931) die ‚Yorck’ mehrfach porträtiert. Der Marinemaler war von Wilhelm II. hoch geschätzt und gefördert worden, bei mehreren Seereisen zählte er zur Begleitung des Kaisers. Eines seiner Bilder, das die ‚York’ in voller Fahrt zeigt, ziert den Einband einer 1910 erschienenen Erzählung mit dem Titel „ An Bord des Panzerkreuzers ‚Yorck’ rund um die Erde“ des Autors Hans Nikolaus von Bernstorff (1856 – 1914).

Dieser ehemalige Korvettenkapitän hatte sich nach seinem Ausscheiden aus dem Marinedienst 1896 ganz seinen auch schon zuvor gepflegten schriftstellerischen Aktivitäten gewidmet. Er veröffentlichte eine Reihe von Erzählungen, in denen er – ganz im Sinne der durch Wilhelm II. geförderten Marine-Hochstimmung – sein jugendliches Lesepublikum für den Marinedienst zu begeistern suchte. Schon die Titel sprechen Bände: „Willi der Schiffsjunge“, „Unsere blauen Jungen“, „Auf großer Fahrt“, „Im bunten Rock“. So schreibt von Bernstorff im Vorwort zu der ‚Yorck’-Erzählung: „Die hervorragende Disziplin, der Diensteifer und die Dienstfreudigkeit, die in unserer Marine herrschen, sind weltbekannt, ebenso wie der unvergleichliche Mut, die stete, opferwillige Hilfsbereitschaft und die seemännische Tüchtigkeit von Offizieren und Mannschaften […] Ich hoffe, auch mit dem vorliegenden Buch das Interesse an unserer Marine in immer weiteren Kreisen des deutschen Volkes erwecken zu können […]“

Dem verklärenden Bild der Marine, das Bernstorffs Erzählungen entwerfen, wurde die reale ‚Yorck’ allerdings nicht gerecht. Das Schiff war mehrfach in Unglücksfälle verwickelt, bei dem bis dahin schwersten hatte sie am 4. März 1913 bei einer Marineübung vor Helgoland das Torpedoboot S 178 gerammt, das innerhalb weniger Minuten unterging. Von der Besatzung der S 178 konnten nur 15 Mann gerettet werden, 69 ertranken. Mit dem selbst zu verantwortenden Untergang am 4. November 1914 fand dann die Geschichte der ‚Yorck’ ihr schreckliches und unrühmliches Ende.

Das Wrack der ‚Yorck’ auf der Postkarte eines Wilhelmshavener Verlags, ca. 1930 (Deutsches Marinemuseum, Wilhelmshaven)
Das Wrack der ‚Yorck’ auf der Postkarte eines Wilhelmshavener Verlags, ca. 1930 (Deutsches Marinemuseum, Wilhelmshaven)

Am 6. November erschien die amtliche Mitteilung des Admiralstabes: „ S M großer Kreuzer Yorck ist am 4. November vormittags in der Jade auf eine Hafenminensperre geraten und gesunken. Nach bisherigen Angaben sind 382 Mann, mehr als die Hälfte der Besatzung, gerettet. Die Rettungsarbeiten wurden durch dichten Nebel erschwert.“ (Jeversches Wochenblatt Nr. 261, 1914). Entsprechend der herrschenden Kriegspropaganda wurde der militärisch weitgehend wirkungslose Angriff auf die englische Küste bei Yarmouth als Erfolg herausgestellt und als Husarenstreich gefeiert, so in einem Bericht des Jeverschen Wochenblatts (Nr. 263, 1914) über die englische Reaktion: „ Die Frage, wie es möglich war, dass der Feind bis an die englische Küste kam, kehrt in allen Erörterungen wieder. Es geht ein Fieber von Nervosität durch London. Der Untergang der ‚Yorck’ dagegen wurde in demselben Artikel zwar bedauert, ansonsten aber klein geredet und gerechnet: „Der Verlust des schönen erst zehn Jahre alten Panzerkreuzers mit etwa 250 Mann seiner Besatzung ist bitter genug, wenn auch die Flotte nicht gerade eine starke Gefechtseinheit dadurch eingebüßt hat. Yorck war noch einer der älteren Kreuzer […] galt aber für ein recht stattliches Schiff, das wir schmerzlich vermissen. Es entsprach in seinem Wert ungefähr dem eines jeden der drei englischen Kreuzer, die unser Unterseeboot U 9 mit seinen Treffern hintereinander zum Meeresgrund beförderte.“ Die U 9 unter ihrem Kommandanten Otto Weddigen (1882- 1915) hatte am 22. September 1914, also wenige Wochen vor dem Unglück, drei englische Schiffe torpediert, wobei ca. 1.500 Menschen umkamen. Weddigen war im November 1914 auf dem Weg zu einer der größten Propagandalegenden des Ersten Weltkriegs und eignete sich für derartige „Gegenrechnungen“.

Der Erste Weltkrieg war ohne Ruhmestaten der Marine schon längst verlorengegangen und das Wilhelminische Kaiserreich auch unter Mithilfe der revolutionären Matrosen in Wilhelmshaven hinweggefegt worden, doch der Schifffahrt auf der Jade bereitete die kieloben in der Nähe des Fahrwassers liegende ‚Yorck’ noch Jahrzehnte Probleme. Um das Gefährdungsrisiko durch die riesigen Wrackteile zu verringern, wurden mehrfach Teilsprengungen (1926) bzw. Absenkungen (1936 /37) vorgenommen. Die Fahrwasserverlegung, die im Zusammenhang mit der Industrienansiedlung auf dem neu eingedeichten Voslapper Groden , insbesondere dem Bau der Chemie-Umschlagbrücke unmittelbar südlich des Außenhafens Hooksiel, erforderlich wurde, machte dann die vollständige Beseitigung des Hindernisses unumgänglich. Man entschied sich für eine Absenkung des Wracks, da eine Bergung wesentlich höhere Kosten verursacht hätte und auch Pietätsgründe dagegen sprachen. In dem Wrack wurden noch die sterblichen Überreste vieler Matrosen vermutet. Unter Einsatz von zwei Saugbaggern wurden die Reste der ‚Yorck’ unterspült und unter die geforderte Mindesttiefe von 23 m unter Seekartennull gebracht. Diese Arbeiten waren am 4. Oktober 1983 abgeschlossen, im April 1987 wurde das verlegte Fahrwasser für die Schifffahrt freigegeben. Seitdem macht auch keine Wracktonne mehr auf die Position der ‚Yorck’ südlich querab von Horumersiel (genaue Koordinaten 53°40’2’’ N 8° 5’2’’ O) aufmerksam.

Auf weitere Quellenangaben im Text wurde verzichtet. Leicht überarbeitete Fassung eines Artikels, der im Nov. 2014 im Jeverschen Wochenblatt und in der NWZ erschien.

 

Literatur

  • Hansen, Hans J.: Die Schiffe der deutschen Flotten 1848 – 1945.- Oldenburg 1977
  • Hinrichsen, Jürgen, Fahrwasserverlegung der Jade bei Hooksiel. – In: Wasser- und Schiffahrtsamt Wilhelmshaven. Informationsschrift v. 10.6.1987, S. 35 – 39
  • Koop, Gerhard; Mulitze, Erich: Die Marine in Wilhelmshaven.- Koblenz 1987
  • Ringelnatz, Joachim: Als Mariner im Krieg. – Zürich 2004, S. 72 ff.